Die transatlantische Geschichte einer jüdischen Familie im 19. und 20. Jahrhundert.» Dieser Satz findet sich auf der hinteren Umschlagseite des neuen Buchs, das die aus München stammende Autorin Jutta Jacobi geschrieben hat und als Titel den Namen einer Familie trägt: Die Schnitzlers. Welche Faszination sich hinter dem Familiennamen verbirgt, erfuhren die Gäste bei einer bemerkenswerten Veranstaltung des IKG-Kulturzentrums im Rahmen der Jüdischen Kulturtage, die gerade zu Ende gegangen sind.
Jutta Jacobi, die in München Germanistik und Theaterwissenschaft studiert hat und heute als Hörfunk- und Buchautorin in Hamburg lebt, war es nicht allein, die der Veranstaltung – moderiert von Judith Heitkamp aus der Bayern2-Redaktion Kulturkritik und Literatur – einen besonderen Glanz verlieh. Ganz vorne in der ersten Reihe saßen als Ehrengäste Giuliana und Michael Schnitzler, die Urenkelin und einer der beiden Enkel jenes berühmten Erzählers und Dramatikers aus Wien, um den sich auch das Buch rankt: Arthur Schnitzler (1862–1931).
Stammbaum Das facettenreiche Buch, eine Familiengeschichte, wie es im Untertitel heißt, ist auch eine Geschichte von Sehnsucht, dem Geschenk des Humors und dem Wandel der Perspektiven im Verlauf der Geschichte. Einen hilfreichen Beitrag zur Orientierung im familiären Geflecht der Schnitzlers lieferten die Organisatoren der Veranstaltung, das Kulturzentrum und der Residenz-Verlag in Form eines Stammbaums der Familie, der am Anfang des Abends an die Besucher verteilt wurde.
Natürlich tauchen auch Giuliana und Michael darin auf. Die beiden und auch Peter Schnitzler, ein weiterer noch lebender Nachfahre, spielten aber auch bei der Entstehung des Buches eine tragende Rolle. «Die Familie ist mir bei der Erforschung ihrer Geschichte überaus entgegengekommen», sagte Jutta Jacobi im Gespräch mit Judith Heitkamp.
Die Familiengeschichte, die sie mit Akribie und feiner Feder geschrieben hat, beginnt mit der Schilderung einer Begegnung auf dem Wiener Zentralfriedhof zwischen der Autorin und Giuliana. Im «Bet Kevarot», dem Ort der Gräber, der riesigen jüdischen Totenstadt, besuchen sie das Familiengrab der Schnitzlers. Sie kommen an vielen prunkvollen Grabmälern vorbei, die nur zum Teil hebräische Buchstaben tragen und dadurch das assimilierte jüdische Wien des 19. Jahrhunderts widerspiegeln.
Verdienste Jutta Jacobi beschreibt sehr treffend, was hier aufeinanderprallt: «Die Gräber zeigen, wie die Verstorbenen gesehen werden wollten: tatkräftige Männer, tugendsame Gattinnen, beweint von ihren untröstlichen Söhnen und Töchtern. Ihre Verdienste sind in Stein gemeißelt, die Kehrseite hat Arthur Schnitzler beschrieben.» Auch der gleichermaßen berühmte wie kritisierte und angefeindete Erzähler und Dramatiker ist hier begraben.
Jutta Jacobi gesteht, dass sie schon zu ihrer Studentenzeit von Arthur Schnitzler fasziniert war: «Es ist seine fundamentale Skepsis, die mich in den Bann zieht und die ich, zumindest zu einem Teil, auch in meiner eigenen Denkweise wiederfinde. Um ihn jedoch ganz verstehen zu können, muss man auch den familiären Hintergrund sehen.» Der fängt in dem Buch am 4. April 1858 mit einem Brief an, den der damals 23-jährige Johann Schnitzler an seine «geliebten Eltern» in Ungarn schrieb. Kurz zuvor vorher war er nach einer beschwerlichen Reise mit dem Leiterwagen aus Nagykanizsa in Wien angekommen.
Johann Schnitzler, der begabte Sohn eines armen jüdischen Tischlers, der später die Poliklinik gründete und ein berühmter Arzt wurde, war zu diesem Zeitpunkt Medizinstudent und wollte sein Studium unbedingt in Wien beenden. Die Metropole an der Donau galt als Mekka der medizinischen Forschung und Lehre. Enttäuschte Liebe zu einer Buchhändlerstochter trug allerdings auch dazu bei, dass er seine Heimat verließ. Arthur, der Bekannteste der Schnitzlers, war sein Sohn.
Erotomane Im Begleittext zu Jutta Jacobis Buch, das bei der Veranstaltung im Gemeindezentrum lobenden Beifall fand, ist die facettenreiche Familiengeschichte, die sich bei Weitem nicht nur auf Arthur Schnitzler und seine Wandlung vom Erotomanen zum Moralisten beschränkt, punktuell zusammengefasst. Es geht auch um seine Olga, «die Geschiedene», heißt es da; um Tochter Lili, die «an der Seite eines faschistischen Offiziers ihr Glück nicht fand»; um Heinrich Schnitzler, der im Jahr 1938 nach Amerika emigrieren musste; um Arthur Schnitzlers Enkel Peter und Michael, die sich «von den Lasten der Vergangenheit» befreiten, und nicht zuletzt eben auch um Giuliana, die auf dem Zentralfriedhof in Wien auf die Gräber ihrer Vorfahren im Gedenken an sie regelmäßig Steine legt.
Zwischen den Zeilen des Buches ist die gedankliche Nähe der Biografin zu Arthur Schnitzler, der Tabus brach und über Tod, Sexualität und die alltäglichen bigotten Lebenslügen der Wiener Gesellschaft schrieb, unverkennbar. Arthur Schnitzler mit seinem feinen Gespür für die menschliche Psyche hatte zu Lebzeiten mit dem bahnbrechenden Psychoanalytiker Sigmund Freud einen ebenso einflussreichen wie berühmten Fan.
Der schrieb ihm einmal: «Ich habe mich oft verwundert gefragt, woher Sie diese oder jene geheime Kenntnis nehmen konnten, die ich mir durch mühselige Erforschung des Objekts erworben, und endlich kam ich dazu, den Dichter zu beneiden, den ich sonst bewundert.»