Regensburg

Mitten in der Stadt

Dani Karavans Bodenrelief zeichnet die Fundamente einer zerstörten Synagoge nach. Foto: dpa

Die weiße Raufasertapete ist rissig. Durch das doppelverglaste Fenster fällt der Blick auf einen grauen Betonanbau aus den 60er-Jahren. Neben dem abgesenkten Türstock stehen in einer Glasvitrine unzählige Menorot dicht gedrängt. »Sie sehen ja selbst, das Platzangebot ist äußerst überschaubar«, sagt Ilse Danziger im schmalen Besprechungsraum des Regensburger Gemeindezentrums.

Die Vorsitzende der örtlichen jüdischen Gemeinde ist in den vergangenen Jahren zur Expertin in Sachen optimaler Raumnutzung geworden. Vor allem durch den Zuzug neuer Mitglieder aus den Ländern der ehemaligen GUS ist die Gemeinde seit Mitte der 90er-Jahre sehr stark angewachsen. Waren es damals nur gut 100, zählt sie heute mehr als 1000 Mitglieder. Das Gemeindehaus und der Gebetsraum sind in dieser Zeit allerdings nicht mitgewachsen.

»Die großen Festtage können wir schon lange nicht mehr gemeinsam feiern. Wir machen das in mehreren Schichten«, bedauert Danziger. Unter der Raumnot litten auch die sozialen und integrativen Aufgaben: »Wir hätten genug Nachwuchs für eine Kleinkindergruppe. Aber wo sollen wir die hier unterbringen?« Im Altbau am Brixener Hof mit seinen verwinkelten Gängen und schlauchartigen Räumen gibt es dazu keine Möglichkeit. Der große Saal im Anbau, in dem die Feiertage begangen werden und der auch für Kulturveranstaltungen genutzt wird, ist zwar weitläufiger, aber dafür weder beheizbar noch ausreichend isoliert.

Wiederbelebung Eine neue Synagoge für Regensburg war die Vision von Danzigers Vorgängern Hans Rosengold und Otto Schwerdt, beide Zeitzeugen der NS-Diktatur und über Jahrzehnte hinweg die treibenden Kräfte bei der Wiederbelebung des Gemeindealltags.

Doch beide starben, bevor die Ausschreibungsunterlagen zu Beginn dieses Jahres verschickt werden konnten. Vor wenigen Tagen endete nun die Frist, um Entwürfe für den einstufigen Architektenwettbewerb einzureichen. Ein genauer Kostenrahmen wird erst nach Abschluss des Wettbewerbs feststehen. »Wir wollen keinen Prunkbau«, betont Danziger. »Für uns ist entscheidend, dass wir später auch für den Unterhalt aufkommen können.« Die Eröffnung soll – so ihre Hoffnung – 2019 stattfinden.

Die besondere Herausforderungen für die Planer liegt in der Lage des zukünftigen Gebäudekomplexes. Nicht irgendwo am Stadtrand soll gebaut werden, sondern am gleichen Ort, an dem die Synagoge von 1912 bis zu ihrer Zerstörung 1938 stand. »Am Brixener Hof« lautet die Adresse heute. Sie liegt im Herzen der Regensburger Altstadt, nur wenige Schritte vom gotischen Dom St. Peter und der evangelischen Neupfarrkirche entfernt.

Um die Sichtbarkeit des jüdischen Lebens im Stadtbild geht es Dieter Weber, dem Vorsitzenden des 2013 gegründeten Fördervereins »Neue Regensburger Synagoge«. »Die jüdische Gemeinde und ihre Traditionen gehören zu Regensburg. Sie ist eine der ältesten und bedeutendsten Gemeinden im deutschsprachigen Raum«, betont Weber. Erste Aufzeichnungen über jüdisches Leben in Regensburg finden sich im frühen 10. Jahrhundert. Im Jahr 1230 gab es bereits ein jüdisches Gemeindehaus, ein Hospital, eine Mikwe, eine Schule und eine Talmudhochschule sowie einen Beit Din.

Denkmal Am Ort der damaligen Synagoge, dem heutigen Neupfarrplatz, steht inzwischen ein Denkmal von Dani Karavan. Denn das Gotteshaus wurde 1519 bei einem Pogrom zerstört und die jüdischen Bürger wurden aus der Stadt vertrieben. Fast 400 Jahre später wurde dann am Brixener Hof eine neue Synagoge eingeweiht. Es waren abermals Regensburger, die diese Synagoge in der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 abbrannten.

Sie waren es auch, die die Juden ihrer Stadt zu den Polizeirevieren trieben, von wo aus viele von ihnen in Konzentrationslager deportiert wurden. »Daraus erwächst für uns als Bürger des heutigen Regensburg eine besondere historische Verantwortung«, erklärt Weber seine Motivation. Ziel des Vereins sei es, Aufmerksamkeit für das Bauprojekt zu schaffen und Spenden zu sammeln. Der Verein versteht sich als Netzwerk von Vertretern aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, die als Multiplikatoren fungieren.

Erste Erfolge können Danziger und Weber bereits verbuchen. Oberbürgermeister Joachim Wolbergs sicherte der Gemeinde die Unterstützung der Stadt zu – sowohl in ideeller als auch in finanzieller Hinsicht. Am Rückhalt für das Bauprojekt lässt auch das Bistum unter der Leitung von Bischof Rudolf Voderholzer keinen Zweifel. »Papst Johannes Paul II. hat Juden einmal als unsere älteren Brüder im Glauben bezeichnet. Und genau so sehen wir das in Regensburg auch«, sagt Generalvikar Michael Fuchs.

»Unsere jüdischen Mitbürger gehören geografisch in das Herz der Stadt und auch in die Herzen der Regensburgerinnen und Regensburger.« Man sehe den neu aufkeimenden Antisemitismus in vielen Teilen Europas mit großer Sorge und hoffe, mit der Unterstützung des Synagogenbaus auch von kirchlicher Seite ein klares Zeichen dagegen zu setzen. Für 2019 plane das Bistum ein Jahr des Dialogs, um das Bewusstsein für die Gemeinsamkeiten von christlichem und jüdischem Glauben zu stärken. Und mit Begeisterung in der Stimme fügt Fuchs hinzu: »Christen und Juden beten die gleichen Psalmen – aber wer schon einmal einem jüdischen Gebet gelauscht hat, der weiß: Da schwingt es einfach!«

Förderverein
Schwung wünschen sich die jüdische Gemeinde und der Förderverein für die kommenden Jahre: Es sei die große Aufgabe der Gegenwart, die Zukunft zu gestalten. Das anvisierte Einweihungsjahr 2019 hat Symbolcharakter. 500 Jahre nach der Zerstörung der ersten Regensburger Synagoge soll man wieder im eigenen Gotteshaus beten, feiern und unterrichten können.

Die alte Wand mit der Raufasertapete werde auch im neuen Gemeindezentrum erhalten bleiben, sagt Danziger. »Wir haben erst vor wenigen Jahren herausgefunden, dass genau hier bis zur Zerstörung 1938 der Übergang zur Synagoge war. Seitdem neigt sie sich natürlich jedes Jahr ein bisschen weiter.« Mit der neuen Synagoge bekommt das religiöse Leben in Regensburg eine wichtige Säule zurück. Und die alte Mauer ihre Stütze.

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