Synagoge

Mit Pistole zum G’ttesdienst?

Foto: picture alliance / Geisler-Fotopress

Die Anschläge der vergangenen Jahre haben uns leider vor Augen geführt, dass Juden weder in Halle noch in Pittsburgh und nicht einmal in Jerusalem in Synagogen sicher sind und unsere G’tteshäuser nicht unbeschützt bleiben dürfen. Immer öfter wird gefordert, dass Betende zur Selbstverteidigung in Synagogen Waffen mitführen sollten.

So rief beispielsweise der Oberrabbiner der israelischen Polizei, Rami Berachyahu, nach dem jüngsten Anschlag in Jerusalem in einem Schreiben Rabbiner und Gläubige dazu auf, zugelassene Waffen in Synagogen zu tragen, um mögliche Terroranschläge abzuwehren.

verbot Jedoch ist das Tragen einer Waffe in einer Synagoge halachisch nicht unbedenklich. Der Vers im Wochenabschnitt Balak (4. Buch Mose 25,7) sagt Folgendes: »Als Pinchas, der Sohn Elasars, des Sohnes Aarons, des Kohen, dies sah, erhob er sich von der Gemeinde und nahm einen Speer in seine Hand.« Der Talmud (Sanhedrin 82a) zitiert den obigen Vers über Pinchasʼ mutige Tat und erklärt, dass dieser Vers als Quelle für das Verbot dient, bewaffnet eine Synagoge zu betreten.

Jad Rama erklärt, dass die Gemara den oben genannten Vers so versteht, dass er aus dem Lehrhaus sich »erhob« und erst dann »einen Speer nahm«. Solange er im Lehrhaus beziehungsweise in der Synagoge war, hatte er keine Waffe bei sich. Dies ist die Quelle für das Verbot, eine Waffe in einem G’tteshaus zu tragen.

Eine andere Quelle dafür ist die Mechilta (am Ende des Wochenabschnitts Jitro) zu folgendem Vers: »Und wenn du Mir einen steinernen Altar baust, sollst du ihn nicht aus behauenen Steinen errichten; denn du wirst dein Schwert über ihm schwingen und ihn entweihen«. Dort heißt es: »Rabbi Schimon ben Elazar sagte: Der Altar wurde geschaffen, um das Leben des Menschen zu verlängern. Deshalb darf man den ›Gegenstand, der verkürzt‹ (etwa ein Messer), nicht über den ›Gegenstand, der verlängert‹ (also den Altar), schwenken.«

messer In ähnlicher Weise schreibt der Orchot Chaim (Hilchot Bet HaKnesset, Abschnitt 7) im Namen des Maharams von Rottenburg, dass man die Synagoge nicht mit einem langen Messer betreten darf, da das Gebet das Leben verlängert und ein Messer es verkürzt. Obwohl Rabbeinu Peretz nicht mit dem Maharam von Rottenburg übereinstimmt, kodifiziert der Schulchan Aruch (151,6) diese Anweisung, indem er schreibt: »Es gibt solche, die es verbieten, (eine Synagoge) mit einem langen Messer oder mit unbedecktem Kopf zu betreten.«

Es ist im Normalfall nicht gestattet, Gegenstände mitzubringen, die das Leben verkürzen.

Und obwohl dieses Gesetz heutzutage nicht mehr oft zur Anwendung kommt, da Menschen keine Schwerter mit sich herumtragen, müssen wir dennoch über Waffen wie Gewehre diskutieren, die ebenfalls aus Metall bestehen und das Leben des Menschen verkürzen. Aus den obigen Ausführungen ergibt sich, dass es verboten sein sollte, eine Synagoge mit seiner persönlichen Waffe zu betreten.

Der Tzitz Eliezer (10,18) bemerkt, dass – auch wenn der Schulchan Aruch dieses Gesetz in den Abschnitt über die Gesetze der Synagoge einschloss – die Halacha auch für jemanden gelte, der allein zu Hause betet. Das bedeutet, dass man nicht einmal zu Hause beten darf, während man eine Waffe trägt. Er erläutert, dass der Grund für das Verbot auch beim Beten zu Hause besteht, denn während man betet, was das Leben verlängert, sollte man keinen Gegenstand bei sich tragen, der das Leben verkürzt. Er fügt hinzu, dass man nicht einmal eine Synagoge betreten darf, wenn man eine Waffe bei sich trägt. Eine ähnliche Ansicht findet sich im Sefer Beer Sarim (2,10).

Der ehemalige israelische Oberrabbiner Ovadia Yosef sel. A. vertritt in Jechave Daat (5,18) eine andere Meinung und schreibt, dass das Verbot nur für eine Synagoge gelte – wegen ihrer herausragenden Heiligkeit. Zu Hause zu beten und dabei eine Waffe zu tragen, wäre seiner Meinung nach erlaubt. Es ist auch erwähnenswert, dass der Sefer Tzedaka Umishpat (Kapitel 1, Anmerkung 42) der Meinung ist, dass es besser ist, ohne Minjan zu beten, als ein Gebetshaus mit einer Waffe zu betreten.

KOPF Wir haben also festgestellt, dass es verboten ist, mit einer Waffe ein Gebetshaus zu betreten, und einigen Autoritäten zufolge gilt dieses Verbot sogar für das Beten in den eigenen vier Wänden. Die Tora Temimah zitiert zu dem oben genannten Vers die Worte des Schulchan Aruch und wirft eine Frage auf. Der Schulchan Aruch schreibt, dass man eine Synagoge nicht »mit einem langen Messer oder mit unbedecktem Kopf« betreten darf.

Die einfache Lesart des Schulchan Aruch scheint darauf hinzudeuten, dass hier zwei völlig unterschiedliche Themen diskutiert werden: Erstens sollte man eine Synagoge nicht mit einer Waffe betreten, und zweitens sollte man sie nicht betreten, ohne seinen Kopf ordnungsgemäß zu bedecken (Kippa). Die Tora Temimah fragt, welchen Zusammenhang es zwischen diesen beiden Aussagen gibt. Außerdem hat der Schulchan Aruch die Halacha des Betens ohne Kopfbedeckung bereits in Siman 91 erörtert. Warum sollte er sich dann noch einmal veranlasst sehen, dies zu wiederholen?

Bei begründeter Gefahr ist eine Waffe zulässig – aber die Mündung muss bedeckt werden.

Die Tora Memimah bietet daher eine völlig andere Interpretation der Entscheidung des Schulchan Aruch an. Der Schulchan Aruch erörtert eigentlich nur ein Thema, nämlich Waffen in der Synagoge. Wenn der Schulchan Aruch schreibt, dass man die Synagoge nicht mit »unbedecktem Kopf« betreten darf, bezieht er sich eigentlich auf den »Kopf« der Waffe.

regelung Das Verbot des Tragens einer Waffe besteht nur, wenn die Waffe unbedeckt ist. Solange die Waffe verborgen ist, darf man beten.
Rabbiner Avigdor Neventzhal ist der Meinung, dass man gemäß der Tora Temimah beten darf, solange der Mund der Waffe bedeckt ist. Der Tzitz Eliezer (Rabbiner Eliezer Waldenberg) befindet jedoch, dass die Pistole vollständig bedeckt sein muss und für andere nicht sichtbar sein darf, um eine milde Regelung zu treffen.

Der Tzitz Eliezer schreibt auch, dass man in eine Synagoge gehen und beten kann, wenn die Munition aus der Waffe entfernt wurde. Er erklärt, dass ein Gewehr ohne Kugeln, im Gegensatz zu einem Messer, dann nicht mehr als Waffe betrachtet wird und daher die strenge Regelung für diesen Fall nicht gelten würde.

Der Tzitz Eliezer schreibt weiter, dass ein Soldat oder Wachmann, der jederzeit eine Waffe bei sich tragen muss, eine Synagoge betreten und beten darf, während er seine Waffe trägt. Für diese Personen kann das Ablegen der Waffe zu gefährlichen und möglicherweise lebensbedrohlichen Situa­tionen führen, weshalb sie, während sie ihre Waffe tragen, beten dürfen.

TALLIT Er schreibt, dass man die Waffe während des Gebets auf den Boden legen sollte, und wenn das nicht möglich ist, sollte man die Waffe zumindest mit seinem Tallit bedecken. Diese Gesetze gelten aber selbstverständlich nur für den Normalfall. Falls eine begründete Gefahrensituation besteht, ist es erlaubt, eine Waffe in die Synagoge mitzubringen, wobei – falls die Waffe zu groß ist, um sie ganz zu verdecken, wie beispielsweise bei einer M16 – es ausreicht, nur ihre Öffnung zu verdecken.

Es gibt auch eine Meinung, die besagt, dass Waffen bei einem Soldaten oder Sicherheitspersonal zur Grundausstattung gehören und demnach wie Kleidung angesehen werden können, folglich würde sich das Verbot ausschließlich auf Privatpersonen beziehen.

Der Autor ist Rabbiner der Synagogengemeinde Konstanz und Mitglied der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland (ORD).

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