Investitur

Mit klarem Sopran

In der Synagoge Pestalozzistraße der Jüdischen Gemeinde zu Berlin erlebten die Gäste am vergangenen Donnerstag eine Premiere: Erstmals ist dort eine Kantorin in ihr Amt eingeführt worden. Es war ein Ereignis, das mit einer zweistündigen Zeremonie gefeiert wurde.

Die Person, um die sich alles drehte, war Svetlana Kundish. Liebhaber jüdisch-osteuropäischer Musik werden die gebürtige Ukrainerin wahrscheinlich bereits kennen. Schon mehrmals stand die Sängerin während der Jüdischen Kulturtage zu Berlin oder des Yiddish Summer in Weimar auf der Bühne – und zog stets das Publikum mit ihrer klaren, hellen Sopranstimme in ihren Bann.

gäste Zu ihrer Investiturfeier war eine Reihe geladener Gäste ge­kommen, darunter Abraham Lehrer, der Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Sonja Guentner, Vorsitzende der European Union for Progressive Judaism, und der Berliner Europa-Staatssekretär Gerry Woop (Die Linke). Auch Mitglieder der Jüdischen Gemeinde Braunschweig, in der Svetlana Kundish als Kantorin zukünftig wirken wird, nahmen an der feierlichen Zeremonie in der Synagoge Pestalozzistraße teil.

Eröffnet wurde die Feier von den beiden Rabbinern Jonah Sievers und Walter Homolka. Letzterer ist auch Direktor des Abraham Geiger Kollegs in Potsdam, an dem Svetlana Kundish ihr fünfjähriges Kantoren-Studium absolviert hat. »Wir wünschen ihr von Herzen alles Gute«, sagte Rabbiner Homolka. Er freue sich darüber, Zeuge zu sein, wie ein junger Mensch ins Amt eingeführt wird.

Seit zehn Jahren werden am Geiger-Kolleg Kantoren und seit fast 20 Jahren Rabbiner ausgebildet. Die Absolventen kommen nicht nur in Deutschland, sondern in der ganzen Welt zum Einsatz.
Rabbiner Sievers ließ keinen Zweifel, dass Kantorin Kundish einen guten Job machen wird.

Für die Braunschweiger Gemeindemitglieder ist Svetlana Kundish keine Unbekannte. Sie absolvierte dort 2014 bereits ein Praktikum. »Sie hat ein Gefühl für die Menschen entwickelt, wurde aufs Herzlichste aufgenommen«, sagte Jonah Sievers, Rabbiner der Jüdischen Gemeinde zu Berlin. Dass die frisch gebackene Kantorin in Niedersachsen einen guten Job machen wird, daran ließ er keinen Zweifel.

Dank Nachdem Svetlana Kundish erst der Tallit, dann die Tora und das Diplom überreicht worden waren, wandte sie sich erstmals offiziell als Kantorin an die Gäste. Der Tag sei für sie »bedeutungsvoll und unerlässlich«, sagte sie. »Ich möchte mich für die viele Liebe, Hilfe und Unterstützung bedanken«, fügte die 36-Jährige hinzu. Ein besonderer Dank galt ihrem Lehrer, Kantor Eliyahu Schleifer. Er sei eines der wichtigsten Vorbilder in ihrem Leben. »Sie haben mir geholfen, meine eigenen jüdischen Traditionen wiederzuentdecken, sie in meine Familie einzubringen«, sagte Kundish.

Aufgewachsen ist Svetlana Kundish in einem musikalischen Umfeld. Bereits ihr Urgroßvater war Kantor, und zwar im ukrainischen Schtetl Owrutsch. Ihre Mutter gehörte zu den ersten Künstlern der Westukraine, die nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion jiddische Lieder in der Öffentlichkeit sangen.
1995 wanderte sie mit ihren Eltern und ihrem älteren Bruder nach Israel aus. Dort besuchte sie ein Musikgymnasium, studierte anschließend Musik – zunächst Gesang und Klavier an der Ironi Alef High School of Arts in Tel Aviv, später Gesang bei Ella Akritova und schließlich jiddische Musik in der Meisterklasse von Nechama Lifshitz.

Mit 25 Jahren zog sie nach Österreich, um in Wien Operngesang am Prayner Konservatorium zu studieren. Im Anschluss hätte sie mit ihrem lyrischen Sopran in Opern singen können, doch sie entschied sich, ihrer Leidenschaft nachzugehen. Das heißt: Lieder aus dem jüdischen Repertoire auf die Bühne zu bringen. Das seien ihre Wurzeln, ihre Identität, erklärte sie.

projekte Aktuell wirkt Kundish unter anderem in zwei Projekten mit: Im Ensemble »Voices of Ashkenaz« widmet sie sich gemeinsam mit fünf weiteren Musikern der aschkenasischen Volksmusik – eine Musik, die die fast 1000-jährige Geschichte jiddischer und jüdischer Kultur in Deutschland und Osteuropa erzählt. In einem weiteren Duo arbeitet sie die Geschichte ihres Großvaters auf, der in den 70er- und 80er-Jahren heimlich Tonbandaufnahmen gemacht hatte, die das Alltagsleben und die Lieder und Geschichten seiner Familie im Schtetl Owrutsch in der damaligen Sowjetrepublik Ukraine wiedergeben.

Dass sie nun in der Synagoge Pestalozzistraße stehe, sei ihre Art von Tikkun, sagte Kantorin Kundish. Sie freue sich auf ihre Arbeit in Braunschweig. Ihr Investiturspruch, der sie dort begleiten werde, stamme aus dem Buch der Sprüche, Kapitel 27, Vers 19: »Wie Wasser ein Spiegel ist für das Gesicht, / so ist das Herz des Menschen ein Spiegel für den Menschen.« Sie erklärte: »Das klingt schön, nach Liebe, Freundschaft, Bekanntschaft. Das ist mir in meinem Beruf sehr, sehr wichtig.«

Aufgaben Vor Svetlana Kundish steht nun eine Reihe von Aufgaben: Als Kantorin wird sie nicht nur zu den Gottesdiensten amtieren, sondern auch an Gedenktagen und bei Beerdigungen. Außerdem übernimmt sie seelsorgerische Aufgaben und führt den Bar- und Batmizwa-Unterricht durch.

»Der Kantor ist ein Mensch, an dem sich die ganze Gemeinde orientiert«, sagte Abraham Lehrer, Vizepräsident des Zentralrats der Juden, in seinem Grußwort, »er ist in allen Bereichen des jüdischen Lebens dabei.« Dafür wünsche er Kundish »viel Glück und viel Erfolg. Masel tov!«

Auch Sonja Guentner von der European Union for Progressive Judaism wandte sich mit einem Grußwort an die neue Kantorin. Sie habe ihren Werdegang über Jahre mitverfolgt, sagte Guentner. Nun wünsche sie ihrer »lieben Sveta« gutes Gelingen in der Gemeindearbeit.

glückwünsche Und Kantor Eliyahu Schleifer gab seiner Schülerin noch einen Gedanken mit auf den Weg: »Sing a new song, but don’t forget the old one«, singe die neuen Lieder, aber vergiss die alten nicht.

Nach gut zwei Stunden ging die Zeremonie in der Synagoge Pestalozzistraße zu Ende. Während die Gäste das Buffet im Hof in Beschlag nahmen, stand Svetlana Kundish noch eine Weile an der Eingangstür zur Synagoge, um Glückwünsche und Blumensträuße entgegenzunehmen.

Neben ihr stand ihr Vater, der anlässlich der Investitur aus Israel angereist war. Er hatte in einer der hinteren Sitzreihen Platz genommen – und mit dem Handy dieses wichtige Ereignis im Leben seiner Tochter gefilmt.

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