Am 20. November 1941 war der 50. Geburtstag von Berta Gutmann – doch an diesem Tag wurde die Frau, die seit 1921 in München lebte, von Milbertshofen aus nach Kaunas deportiert. Gehörte sie noch zu denjenigen, die zunächst an die vermeintliche »Umsiedlung« glaubten? Für Hilda Abeles wurde ihr 46. Geburtstag am 25. November 1941 zum Todestag. In den wenigen Tagen vom 20. bis 25. November 1941 hatten 16 der deportierten Juden Geburtstag. Ihrer sowie der weiteren Ermordeten gedachten die Münchner bei der Namenslesung anlässlich des 73. Jahrestages der sogenannten Reichskristallnacht vom 9. November 1938.
Am Gedenkstein am Platz der im Sommer 1938 zerstörten ehemaligen Hauptsynagoge lasen Jugendliche und Erwachsene der Bezirksausschüsse der Landeshaupt- stadt München, vom Bund der Deutschen Katholischen Jugend, von der Evangelischen Jugend München, vom Kreisjugendring München-Stadt sowie Schüler des Städtischen Lion-Feuchtwanger-Gymnasiums. Unter denen, die die Namen von 984 jüdischen Männern, Frauen und Kindern, die nach Kaunas deportiert und ermordet wurden, vorlasen, war auch Münchens Alt-Oberbürgermeister und späterer Bundesjustizminister Hans-Jochen Vogel.
Altes Rathaus Zwischentexte, gelesen von Eva König aus der Arbeitsgruppe »Gedenken an den 9. November 1938« und dem Schlusswort von Anne-Barb Hertkorn vom NS-Dokumentationszentrum München erzählten vom Schicksal der Menschen, denen mit dieser in München schon seit Jahren festen Veranstaltung wieder Name und Gesicht zurückgegeben wurde. Veranstalter sind die Arbeitsgruppe »Gedenken an den 9. November 1938«, das BayernForum der Friedrich-Ebert-Stiftung, »Gegen Vergessen – Für Demokratie, regionale Arbeitsgruppe München«, die Israelitische Kultusgemeinde München und Oberbayern, das NS-Dokumentationszentrum der Landeshauptstadt München sowie das Stadtarchiv München. Andreas Heusler vom Stadtarchiv schlug den Bogen von antisemitischen Hetzreden des Reichspropagandaministers Joseph Goebbels im Saal des Alten Rathauses in München am Abend des 9. November 1938, dem Auftakt zur sogenannten Reichskristallnacht, die Beginn einer mörderischen Radikalisierung der Verfolgung wurde.
Die Münchner Stadtgesellschaft reagierte auch nicht, als am 20. November 1941 nahezu 1.000 Männer, Frauen und Kinder ihre Fahrt in den Tod antreten mussten, so Heusler: »Der notwendige Aufschrei der Empörung über dieses ungeheuerliche Unrecht blieb aus. Das Wegsehen und Schweigen ermöglichte das Verfolgungs- und Vernichtungswerk des NS-Staates.« Erst viele Jahre später konnte das Schicksal der Deportierten aufgeklärt werden. Ihrer und allen Ermordeten der Schoa gedachte Kantor Moshe Fishel mit dem El Mole Rachamim.