Das Spiel ist keine drei Minuten alt, da gibt es schon den ersten Aufreger. Die Nummer neun von TuS Makkabi Frankfurt liegt schreiend am Boden, das Gesicht schmerzverzerrt. Sein Gegenspieler von der Frankfurter Eintracht ist ihm auf die Hand getreten, unbeabsichtigt, wie es beim Fußball nun mal vorkommt. Nach einem kurzen Augenblick quält sich Maximilan Deletioglu wieder auf die Beine. Derweil tönt von den Stehplatzstufen schon ein langgezogenes »Te, Uh, Es« über den Sportplatz am Landgraben, gefolgt vom Schlachtruf »TuS Makkabi Frankfurt!«.
Die Anfeuerung gilt der E-Jugend des rund 1.000 Mitglieder zählenden jüdischen Vereins. Gerade einmal zehn Jahre alt sind die Kontrahenten auf dem Spielfeld, wo es an diesem Samstag immerhin um den Frankfurter Kreispokal geht. Etwa 120 Zuschauer haben sich auf dem Sportplatz des FSV Bergen-Italia eingefunden. Drei Viertel von ihnen stehen auf der Seite des jüdischen Sportclubs, was unschwer an den blau-weißen Fahnen, Schals und Fanutensilien zu erkennen ist.
vormacht »Mit so etwas kann der Gegner nicht aufwarten«, ist Zuschauer Frank Schüler, dessen Sohn in der F-Jugend spielt, überzeugt. Der Gegner, die in Schwarz-Rot auflaufende SG Eintracht Frankfurt, ist in Sachen Fußball das Maß aller Dinge im Rhein-Main-Gebiet– auch bei den Jugendabteilungen. Umso überraschter scheint die Abwehr, als nach einem schnellen Konter ein Spieler in Blau-Weiß völlig frei vor dem Tor steht. Simon Weiner zieht ab. 1:0 für Makkabi. Jubel bricht auf den Stehplatzstufen aus und die Mini-Kicker liegen sich in den Armen – ganz wie die Vorbilder aus der Bundesliga.
Einer muss derweil die Ruhe bewahren. Trainer Jonas Schnabel steht da, wo sich bei den Spielen höherer Altersklassen der Mittelpunkt befindet. Die E-Jugend tritt auf dem Kleinfeld an, was der Hälfte des normalen Fußballfeldes entspricht. Den Treffer seiner Jungs, von denen er einige schon seit sechs Jahren trainiert, bejubelt der 25-Jährige nur kurz. Dann ruft er seine Spieler wieder zur Ordnung. »Auf geht’s! Jeder deckt seinen Mann!«
»Teamgeist und mannschaftliche Geschlossenheit«, glaubt Schnabel, hätten seine Mannschaft bis ins Finale gebracht. Diese herzustellen, ist keine einfache Aufgabe bei einer Truppe, die in ihrer Multikulturalität geradezu ein Abbild der Rhein-Main-Region ist. Obwohl es sich bei Makkabi nominell um einen jüdischen Verein handelt, stammen die Familien der meisten Spieler aus aller Welt: Italien, Japan, Afrika, um nur einige zu nennen. »Im Moment haben wir nur zwei jüdische Jungs in der Mannschaft.«
ausgleich Das Spiel nimmt derweil eine Wendung. Die Kicker der Eintracht demonstrieren ihre technische Überlegenheit und Schnabels Jungs, nehmen es mit der Manndeckung dann doch nicht so genau, wie es ihr Trainer fordert. Nur wenige Minuten nach dem Führungstreffer spaziert ein Eintracht-Spieler fast unbedrängt durch die Abwehr der Blau-Weißen und gleicht aus. Kurz vor dem Halbzeitpfiff verirrt sich eine Flanke in den Strafraum und kommt direkt vor das Tor. Die Fußspitze eines Eintrachtlers berührt das Leder, und plötzlich liegt Makkabi 1:2 hinten. Die Abwehr und Torwart Marcel Greblkicki sind machtlos.
Der Schlussmann der E-Jugend ist, sowohl was das Gebaren als auch seine Haarpracht angeht, eine auffällige Erscheinung. »Ein kleiner Verrückter«, sagt einer der Zuschauer. Energisch treibt Marcel seine Mitspieler an und verhindert mit der einen oder anderen Glanzparade in der zweiten Halbzeit einen noch höheren Rückstand. Selbst von der gegenüberliegenden Torseite aus ist sein Irokesen-Haarschnitt, den er sich für das Finale blau gefärbt hat, deutlich zu erkennen. »Das mache ich erst, seit ich bei Makkabi bin«, sagt der 10-Jährige. »Immer wenn es wichtig ist.«
In der letzten Minute des Spiels wirft Makkabi alles nach vorne, auch der Keeper wird zum Feldspieler. Und ausgerechnet Marcel erzielt in der letzten Sekunde den Ausgleich – unter der Zuhilfenahme der berüchtigten »Hand Gottes«. Der Schiedsrichter hat es nicht gesehen – Trainer und Fans der Eintracht schon. Und die werden nach 50 Minuten zum ersten Mal richtig laut – Verlängerung.
Die zwei mal fünf Minuten sind eine reine Ausdauerübung, die sich fast gänzlich im Mittelfeld abspielt. Dann folgt das Elfmeterschießen. Dreimal schießen beide Mannschaften auf das Tor, drei Mal trifft die Eintracht. Makkabi nicht ein einziges Mal. »2:5 nach Elfmeterschießen« lautet das Endergebnis.
Auszeichnung Die Tränen sind schnell getrocknet. Schon fünf Minuten nach der Siegerehrung strotzt Kapitän Victor Sless wieder vor Selbstbewusstsein. »Wir sind die einzige Mannschaft, die mit der Eintracht mithalten kann«, ist der Zehnjährige überzeugt. »Unheimlich stolz« auf seine Jungs ist auch Jonas Schnabel.
Neben der Silbermedaille gibt es für einige Spieler eine besondere Auszeichnung. Unbeachtet von den meisten Zuschauern, hat sich ein Mann in schwarzem Trainingsanzug das Spiel angesehen: Wolfgang Mehrer. Er ist Trainer beim nahegelegenen DFB-Stützpunkt in Neu-Isenburg. Vier Spieler sind ihm bei Makkabi ins Auge gefallen. Sie erhalten die Einladung zu einem Probetraining. »Wir suchen nicht nur gute Spieler, sondern vor allem Persönlichkeiten«, sagt Mehrer.