Hamburg

Migration gestern und heute

Der »Hilfsverein der deutschen Juden« half den Auswanderern bei der Vorbereitung und betreute Transitreisende, die von Hamburg aus nach Amerika fuhren.

Das Institut für die Geschichte der deutschen Juden (IGDJ) in Hamburg hat eine neue Online-Ausstellung eröffnet, die sich in zahlreichen Quellen der jüdischen Migrationsgeschichte widmet. Schwerpunkt ist der Auswandererhafen Hamburg.

Das Institut versucht mittlerweile auf vielen Ebenen, einem erweiterten Bildungsanspruch gerecht zu werden. So wurde schon vor längerer Zeit das digital verfügbare Quellenarchiv ausgebaut, es ist auf Deutsch und Englisch verfügbar und wird stetig fortgeführt. Aber auch einzelne Themenschwerpunkte werden zum Anlass genommen, das Online-Angebot zu erweitern.

LIVE Zur Eröffnung beziehungsweise »Live-Schaltung« einer solchen Online-Ausstellung hatte das IGDJ vor Kurzem eingeladen. Um dem Thema noch ein wenig detaillierter Aufmerksamkeit zu widmen, gab es nach der Einführung in die Ausstellung durch Anna Menny eine Podiumsdiskussion mit drei Experten.

Neben Tobias Brinkmann von der Penn State University in den USA, der die Ausstellung gemeinsam mit Menny zusammengestellt hatte, waren der Historiker Christoph Jahr von der Humboldt-Universität Berlin und David Hamann vom Friedrich-Meinecke-Institut der FU Berlin geladen, die sich beide in ihrer Forschung mit dem Thema jüdische Migration beschäftigen.

Ihnen gelang es, dem Thema Migra-tion noch einige in der Öffentlichkeit bis dato eher unbekannte Aspekte hinzuzufügen. Denn wie auch in der Ausstellung ging es in der Diskussion nicht in erster Linie um Motivation oder Zielländer, sondern vielmehr um die Reise, den Transit und die Situation der Migranten in den Durchgangsländern. Gerade unter diesem Gesichtspunkt spielt auch Hamburg eine besonders wichtige Rolle, wie Brinkmann betonte, der das Podiumsgespräch leitete.

STATION Denn schließlich war der Hafen, neben Bremen und Antwerpen, die finale Station vieler Auswanderer in Europa. Dass die Gemeinden und Städte daher ein großes Interesse an einem reibungslosen Ablauf der Migrationsbewegung hatten, sei kein Wunder. Schließlich habe man vermeiden wollen, dass sich die Menschen an den Ausreisehäfen stauten. Und es waren beachtliche Zahlen an Migranten, die in Richtung USA und Südamerika strebten.

Zwischen 1880 und 1914 wanderten etwa zwei Millionen osteuropäische Juden vor allem Richtung New York, Philadelphia und Chicago aus. Insbesondere vor dem Ersten Weltkrieg seien Gewalt und Pogrome allerdings nicht der entscheidende Faktor bei der jüdischen Migration aus Russland und Osteuropa gewesen, betonte Brinkmann. In seiner Forschung habe er vielmehr meistens wirtschaftliche Gründe feststellen können.

BLAUPAUSE Er plädierte dafür, die Migrationsbewegungen differenzierter zu betrachten. Zumal man auch in Bezug auf die aktuelle Situation durchaus interessante Schlüsse aus den damaligen Migrationsbewegungen ziehen könne. Schon immer sei die jüdische Migration in der Forschung eine Art Blaupause gewesen, so Brinkmann. Dabei wisse man erstaunlich wenig über die Reise selbst, berichtet er.

Umso wichtiger sind Quellen wie die auch in der Online-Ausstellung abrufbaren Tagebucheinträge und Briefe des Teenagers Mary Antin, die 1894 aus dem heutigen Weißrussland mit ihrer Familie nach Boston auswanderte. Sie hat die relativ unproblematisch verlaufende Reise sehr ausführlich beschrieben und kann deshalb als repräsentativer Bericht interessante Einzelheiten liefern. Dazu gehört auch die Hilfe durch die Gemeinden vor Ort.

Zwischen 1880 und 1914
wanderten zwei Millionen Juden
aus Osteuropa aus.

Die Betrachtung des »Hilfsvereins der deutschen Juden« und seine Rolle in der Migration war auch in der Podiumsdiskussion ein besonderer Aspekt, über den sowohl Christoph Jahr in seiner Biografie Paul Nathans als auch David Hamann in seiner Dissertation geschrieben haben.

Tatsächlich hatte der Verein seit Anfang des 20. Jahrhunderts vielfach staatliche Aufgaben in der Betreuung der Transitreisenden übernommen. Von Unterkünften über koschere Verpflegung während der Überfahrt bis hin zum Aushandeln der Preise mit Hapag und Lloyd, den beiden großen transatlantischen Passagierschiff-Anbietern, übernahm der Verein wichtige Funktionen.

ASPEKTE
Nicht nur unter philanthropischen Aspekten, denn es war durchaus auch gewollt, dass die Migranten nicht in Deutschland blieben und dass die Auswanderung möglichst unproblematisch verlief, um vom Staat unbehelligt zu bleiben. Dazu gab der Verein eine Zeitschrift heraus, die Migrationswillige mit den wichtigsten Informationen versorgte: Reiserouten, Unterkünfte, Ticketpreise oder auch Infos über die Zielländer.

Viele weitere Originalquellen und Dokumente dieser bewegten Zeit sind nun auf der Webseite zu sehen.

www.juedische-geschichte-online.net

Frankfurt

30 Jahre Egalitärer Minjan: Das Modell hat sich bewährt

Die liberale Synagogengemeinschaft lud zu einem Festakt ins Gemeindezentrum

von Eugen El  09.12.2024

Frankfurt/Main

»Mein Herz blutet«

In Israel herrsche »Balagan«, Chaos, sagt Chaim Sharvit. Er steht hier denen zur Seite, die zum ersten Jahrestag des 7. Oktober dunkle Gedanken haben. Ein Besuch in Deutschlands größtem jüdischen Altenheim in Frankfurt

von Leticia Witte  14.10.2024

Gedenkveranstaltung

Steinmeier: Wer überlebt hat, trägt schwer an der Last

Fünf Jahre nach dem rechtsextremen Anschlag besucht Bundespräsident Steinmeier die Tatorte.

 09.10.2024

Frankfurt

Graumann und Grünbaum zur Doppelspitze in der Frankfurter Gemeinde gewählt

Den Vorstand vervollständigen Rachel Heuberger, Daniel Korn und Boris Milgram

von Christine Schmitt  09.10.2024

Berlin

»Ein bewegender Moment«

Am Donnerstag fand in Berlin die feierliche Ordination von zwei Rabbinerinnen sowie sechs Kantorinnen und Kantoren statt. Doch auch der monatelange Streit um die liberale Rabbinatsausbildung in Deutschland lag in der Luft

von Ralf Balke  09.09.2024 Aktualisiert

Neue Potsdamer Synagoge

Am Freitag wird der erste Gottesdienst gefeiert

Nach der feierlichen Eröffnung im Juli soll nun das religiöse Leben in der Synagoge in Potsdam langsam in Gang kommen. Am Wochenende sind erste Gottesdienste geplant

 06.09.2024

IKG

»Ein großer Zusammenhalt«

Yeshaya Brysgal zieht nach einem Jahr als Jugendleiter eine positive Bilanz und plant für die Zukunft

von Leo Grudenberg  04.09.2024

Keren Hayesod

»Das wärmt mir das Herz«

Der Gesandte Rafi Heumann über seinen Abschied von Berlin, deutsche Spielplätze und treue Spender

von Christine Schmitt  04.09.2024

Porträt der Woche

Sinn ernten

Caro Laila Nissen half nach dem 7. Oktober Bauern in Kibbuzim nahe Gaza

von Lorenz Hartwig  01.09.2024