Interview

»Meine Eltern waren Görlitzer. Heute bin ich hier«

Judi Hannes-Mendelsohn möchte aufklären. Foto: pr

Frau Hannes-Mendelsohn, Sie sind aus Florida angereist, um an der Jüdischen Gedenkwoche Görlitz ab dem 19. Juni teilzunehmen. Ihr Vater konnte vor den Nazis fliehen. Was erhoffen Sie sich?
Ich setze auf die Beteiligung der Stadt Görlitz und all der politischen Leute, die uns damals weitgehend ignoriert haben. Ich glaube, wir haben sie überzeugt, und sie haben gemerkt, wie wichtig es war, dass die Nachkommen der Jüdischen Gemeinde Görlitz zum ersten Mal als Gruppe und seit Kriegsende wieder gekommen sind. Und ich habe eine Gänsehaut, wenn ich Ihnen das erzähle. Ich weiß, dass Görlitz eine Stadt ist, in der es eine extreme Rechte gibt.

Was steht auf dem Programm?
Wir werden in Schulen sprechen, Vorträge hören und die Nachkommen der Görlitzer Juden werden sich austauschen. Ich bin so begeistert, dass die Lehrer so erpicht darauf sind, dass die Kinder die wahre Geschichte des Holocaust kennenlernen. Und was mich wirklich berührt, ist, dass in dem Lager, in dem meine Urgroßmutter Amanda Hannes starb, ein Pfarrer mit den Schülern am Schmetterlingsprojekt teilnehmen möchte. Ich habe Lauren Leiderman und Eric Fraunholz, den Organisatoren der Gedenkwoche, vorgeschlagen, dass wir dieses Erinnerungsprojekt in Görlitz durchführen sollten.

Was möchten Sie damit erreichen?
Es ist eine Möglichkeit, an die Kinder zu erinnern, die dort ermordet wurden. Und ich bin überwältigt davon. Ich fange gleich an zu weinen, denn ich wünschte, mein Vater wäre hier, um das zu sehen. Ich weiß nicht, ob alle wirklich verstehen oder begreifen können, wie wichtig diese Aufklärungsarbeit ist, die hier geleistet wird.

Was wissen Sie über Ihre Urgroßmutter?
Mein Vater, Amandas Enkel, wurde von der Shoah Foundation interviewt. Als Siebenjähriger verlor er seinen Vater. Seine Mutter, meine Großmutter Flora, und Amanda, meine Urgroßmutter, mussten das Geschäft führen. Wir haben es also mit zwei Frauen zu tun, die ihre Männer innerhalb eines kurzen Zeitraums verloren haben. Amanda kümmerte sich um die Kinder.

Was geschah dann?
Mein Vater wanderte aus, aber Amanda blieb und wurde 1941 deportiert. Die Haushälterin lief ihr hinterher, um ihr einen Mantel zu bringen. Wir glauben, dass sie die Leiche meiner Urgroßmutter irgendwie herausgeholt und auf dem Jüdischen Friedhof begraben hat, denn sie war die letzte Jüdin, die dort begraben wurde. Vergangenes Jahr, bevor ich zur ersten jüdischen Gedenkwoche kam, hatte ich mich vergewissert, dass ihr Name auf der Gedenkstätte stand. Amanda war eine der Gründerinnen der Synagoge.

Sie haben jetzt die deutsche Staatsbürgerschaft?
Ja, ich habe sie zu Beginn der Pandemie erhalten. Meine Familiengeschichte kann ich über Jahrhunderte zurückverfolgen. Ich bin definitiv Deutsche, denn bei mir muss alles perfekt sein. Ich kenne alle Geburts- und Sterbedaten meiner 40 Familienmitglieder, die im Holocaust ermordet wurden.

Warum war das für Sie wichtig?
Es ging darum, der Familie Hannes die deutsche Staatsbürgerschaft zurückzugeben. Meine Eltern waren 1935 in den Flitterwochen, als Hitler erklärte, dass Juden keine deutschen Staatsbürger mehr seien. Und so weiß ich, dass der Name Hannes jetzt in Deutschland die Staatsbürgerschaft hat – auch für meine Eltern. Mein Vater wurde in Görlitz geboren, meine Mutter in Berlin. Sie haben ihr Leben in Görlitz verbracht. Meine Eltern haben dort geheiratet. Und es war so wichtig, dass meine Familie sie wieder hat. Das ist also ein Tribut an alle Mitglieder der Familie Hannes, dass wir sagen können, sie haben alle ihre deutsche Staatsbürgerschaft zurück. Hitler hat nicht gewonnen. Ich bin heute hier.

Mit der Deutsch-Amerikanerin sprach Christine Schmitt.

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