Vor 200 Jahren wurde mit dem sogenannten Judenedikt von Staatsminister Maximilian Joseph Graf von Montgelas Juden in Bayern unter anderem gestattet, öffentliche Schulen zu besuchen, Grundbesitz zu erwerben, Handelsunternehmen anzumelden, Gemeinden zu gründen, Synagogen zu bauen, Schulen zu eröffnen und eigene Friedhöfe zu errichten. Daran erinnerten am Donnerstag vergangener Woche im Münchner Gemeindezentrum die Montgelas-Gesellschaft und die Israelitische Kultusgemeinde mit einem gemeinsamen Festakt.
Auf dieses Edikt gehe in letzter Konsequenz die Tatsache zurück, »dass wir heute Abend hier in München in dieser Form zusammenkommen können«, betonte IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch in ihrer Begrüßungsrede. »Jenes Edikt war – zumindest hier in Oberbayern – der entscheidende Meilenstein der jüdischen Emanzipation.«
Befreiung Für München bedeutete das Edikt, dass sich im Jahr 1815 eine selbstständige jüdische Gemeinde gründen und bereits ein Jahr später ein eigener Friedhof errichtet werden konnte. Von 1824 bis 1826 entstand die Synagoge in der Westenriederstraße. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wuchs die jüdische Bevölkerung in München auf über 8700 Menschen im Jahr 1900 an. Und mit der Eröffnung der Hauptsynagoge in der Herzog-Max-Straße im Jahr 1887 wurde ihre rechtliche und soziale Emanzipation auch in Münchens Stadtbild erkennbar.
Im Anschluss dankte Charlotte Knobloch Pierre Wolff, dem Vorsitzenden der Montgelas-Gesellschaft zur Förderung der bayerisch-französischen Zusammenarbeit, für sein Engagement und begrüßte die Nachkommen von Graf Montgelas sowie den bayerischen Innenminister Joachim Herrmann. Ihr Dank galt auch der Archivdirektorin Sylvia Krauss, die mit zwei Originaldokumenten aus dem Bayerischen Hauptstaatsarchiv die Zusammenhänge des »Judenedikts« von Graf Montgelas anschaulich machte.
Mit besonders großem Interesse betrachteten viele Besucher des Festakts das im »Königlich Bayerischen Regierungsblatt« vom 17. Juli 1813 veröffentlichte »Edikt über die Verhältnisse der jüdischen Glaubensgenossen im Königreiche Baiern vom 10. Juli 1813«. Die undatierte, vermutlich aus dem Jahr 1812 stammende »Denkschrift über die Situation der Juden in Bayern« stieß ebenfalls auf großes Interesse.
chor Auch die musikalische Umrahmung der Feierstunde hatte einen Bezug zu der Persönlichkeit, der mit dem Festakt gedacht wurde. Es spielten Schülerinnen des Mädchen-Gymnasiums Max-Josef-Stift, das ebenfalls vor 200 Jahren als »Königliches Erziehungsinstitut für Töchter aus den höheren Ständen« von Graf Montgelas gegründet wurde.
Pierre Wolff dankte Charlotte Knobloch für die Gastfreundschaft und Ellen Presser vom Kulturzentrum für die Unterstützung bei der Organisation des Festakts. In Erinnerung an Montgelas überreichte er Knobloch die im Verlag C. H. Beck erschienene Montgelas-Biografie des in diesem Sommer verstorbenen Historikers Eberhard Weis.
Für die Familie Montgelas sprach der Urgroßenkel des Ministers, Tassilo Graf Montgelas, der Mitglied im Kuratorium der gleichnamigen Gesellschaft ist. Die Judenfeindlichkeit vieler Bürger damals sei auch in einer feindseligen Haltung gegenüber dem Reformminister zum Ausdruck gekommen, erklärte Montgelas. Er forderte, dass die immer wieder gepriesene »Liberalitas Bavariae« nicht zur Floskel verkommen dürfe. Montgelas’ Reformideen der Gleichberechtigung aller Menschen seien heute noch aktuell, betonte er unter Hinweis auf die Flüchtlinge in Lampedusa.
Lektion Auf die aktuelle Politik bezog sich sich auch Charlotte Knobloch in ihrer Rede: »Die Geschichte lehrt uns eine ebenso unerbittliche wie zu Wachsamkeit mahnende Lektion: Die Zivilisation ist keine Einbahnstraße«, sagte die Präsidentin. »Im vergangenen Jahr haben wir wie nie zuvor seit 1945 erlebt, wie schnell und ungehemmt Antisemitismus verbal und schlussendlich auch körperlich in Gewalt umschlagen konnte.« Der Schutz der Freiheit sei eine zentrale gesamtgesellschaftliche Herausforderung, der sich jeder täglich stellen müsse.
Innenminister Joachim Herrmann dankte sie für seinen leidenschaftlichen Einsatz gegen Rechtsextremismus, mit dem er sowohl Geschichtsvergessenheit als auch Geschichtsrevisionismus bekämpft. Der Minister bekräftige Knoblochs Forderung: »Wir dürfen nicht zulassen, dass sich ein derartiges Unrecht wiederholt. Deshalb sind wir gefordert, jeglichen Formen von Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz entschieden entgegenzutreten.«
Herrmann erinnerte zudem daran, dass Montgelas mit seiner »Revolution von oben« einen modernen Staatsaufbau mit einer starken zentralen Staatsverwaltung geschaffen und zugleich einen Rechtsstaat mit Religions- und Pressefreiheit und der Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz aufgebaut habe.
»Fränkische Jerusalem« Jedoch sei wegen des Widerstands der Münchner Bürgerschaft das Edikt restriktiver ausgefallen als von Montgelas geplant, erklärte Herrmann. Mit der Vereinheitlichung der heterogenen Rechtsverhältnisse der Juden im Königreich Bayern habe damit zwar das jüdische Leben in München gewonnen, nicht aber so manche andere Gemeinde, wie zum Beispiel das »Fränkische Jerusalem« Fürth. Hier hätten Juden vorher weiterreichende Möglichkeiten gehabt.
Damit war Minister Herrmann sich mit Historiker Rolf Kießling einig, der Montgelas’ Edikt in seinem Festvortrag ebenfalls als durchaus ambivalent bezeichnete.