Sonntagmorgen, Regenwetter. Das Frankfurter Ostend wirkt wie ausgestorben, auf den Straßen herrscht kaum Verkehr, alle Läden haben geschlossen. Doch bei Edeka im Scheck-In-Center an der Ferdinand-Happ-Straße öffnen sich lautlos die Glastüren; eine Mutter mit drei Kindern schiebt einen vollen Einkaufswagen hinaus. Drinnen sieht man vereinzelte Grüppchen durch die endlos langen Regalreihen ziehen, es gibt kein Geschiebe und Gedränge, keine Schlangen an den Kassen.
Sprachgemisch Nur an einer Fleischtruhe, deren Rand mit gelbem Klebeband gekennzeichnet ist, auf dem in hebräischen Buchstaben »koscher« steht, herrscht großes Hallo, man hört Iwrit, Russisch, Englisch und Deutsch. Gemeinsam beugt man sich über eingeschweißte Würstchen, Kalbsschnitzel, Geflügelteile und Rindfleischstücke, nimmt Packungen heraus und liest aufmerksam die Etiketten, zückt das Handy, um zur Sicherheit noch einmal nachzufragen, welchen Braten die Familie wohl am liebsten an Pessach auf dem Tisch sähe.
Denn das Angebot an koscherem Frischfleisch variiert, wie eine Kundin erklärt: »Man weiß vorher nie genau, was es aktuell gibt.« Ein paar Reihen weiter sind Mazzepackungen zu meterhohen Türmen aufgeschichtet, obenauf liegen verlockend Tüten mit Schoko- und Kokosmakronen, allesamt »Kosher for Passover«, wie ein Aufkleber verrät.
Maschgiach Das Einkaufscenter bietet an diesem Sonntag seinen jüdischen Kunden einen Spezialverkauf vor Pessach an. Und die sind dankbar für das Angebot: »Wir haben in den vergangenen Jahren hier in Frankfurt mehrere koschere Läden öffnen und wieder schließen sehen«, sagt Barbara. »Deshalb wollen wir mit unserem Einkauf die Initiative des Supermarkts, für uns dieses besondere Angebot bereitzuhalten, unterstützen.« Dazu gehört sogar ein hauseigener Maschgiach: Miirov ist an fünf Tagen in der Woche im Hause, immer donnerstags überwacht er die Zubereitung koscheren Sushis.
Auch an diesem Sonntag ist er natürlich präsent, eilt durch die Gänge und berät die Kunden bei Fragen rund um die Kaschrut. Marktleiter Peter Splettstoesser hat inzwischen verschiedene koschere Weine geöffnet, die er gemeinsam mit Keksen und Salzgebäck zum Probieren anbietet. Seit vier oder fünf Jahren führe er in der Frankfurter Scheck-In-Filiale koschere Produkte, erzählt er. Auf die Idee brachte ihn damals ein Gespräch mit einem Rabbiner: »Das hat mich irgendwie infiziert«, sagt Splettstoesser. Angefangen habe man mit zehn verschiedenen koscheren Artikeln; mittlerweile beläuft sich das Sortiment auf 1000 Produkte.
Verkaufsschlager Etwa 50 Prozent der Waren bezieht Splettstoesser direkt aus Israel, wie auch das Hummus. Der Kirchererbsenbrei ist ein Verkaufsschlager auch bei der nichtjüdischen Kundschaft. Das einzige Problem: die Lieferungen.
Oft könne er keine ausreichenden Mengen etwa an Fleisch bestellen, manchmal seien auch die im deutschen Lebensmittelrecht vorgeschriebenen Kennzeichnungen unvollständig, dann bekomme er Ärger mit dem Zoll oder den Lebensmittelkontrolleuren. »Eine Kosten-Nutzen-Rechnung darf ich hierbei nicht aufmachen«, sagt der Marktleiter halb lächelnd, halb seufzend. »Aber irgendwie sind die koscheren Lebensmittel mein Hobby geworden.«