Die Bombennacht in Dresden hatte ihm und seiner Familie das Leben gerettet. Am 7. Mai feiert der Grandseigneur des Zentralratspräsidiums, Heinz-Joachim Aris, seinen 80. Geburtstag. Doch diese Beschreibung macht ihn eher verlegen, Extravaganz ist nicht sein Ding. Aris ist bodenständiger Dresdner und »treues Mitglied der Jüdischen Gemeinde« seiner Heimatstadt.
Seit seiner Kindheit ist er mit der jüdischen Gemeinschaft verbunden. Auch im Schicksal, denn seine Mutter war nichtjüdisch. »Und wenn man es rückblickend betrachtet, dass sie 1933 einen Juden geheiratet hat – Dresden war eine Hochburg der Nazis –, müsste man sagen, ›die muss doch verrückt gewesen sein‹, aber das ist eben die Liebe«, sagt Aris, der große Stücke auf seine früh verstorbene Mutter hält und mit Stolz erzählt, dass sie 1948 die Erste nach dem Krieg war, die bei Rabbiner Martin Riesenburger konvertierte.
Toleranz Vater Helmut, Seidenhändler von Beruf, musste fünf Jahre Zwangsarbeit leisten, während dieser Zeit arbeitete Mutter Susanne bei einem Gemüsehändler und ernährte ihre beiden Kinder Heinz-Joachim und die ein Jahr jüngere Renate. Die Familie lebte damals bei der Großmutter in Briesnitz in einem Mehrfamilienhaus. »Alle wussten, dass wir Juden waren, und dennoch habe ich nie Anfeindungen erlebt, erst nach der Wende.« Die Hausgemeinschaft war offen und tolerant. Die Familie seiner Mutter war es ebenfalls. Weltläufigkeit und Toleranz prägten auch Aris.
Die Energie der Mutter hat der Familie das Leben gerettet, denn Vater und Kinder sollten sich am 16. Februar 1945 schon zum Abtransport am Bahnhof Dresden Neustadt einfinden. Doch dank der Bombennacht kam es nicht dazu. Geistesgegenwärtig besorgte die Mutter Papiere. Von nun an lebten sie unter dem Namen Müller als ausgebombte Familie im Stadtteil Weißer Hirsch.
Alter Schüler Mit der Friedenszeit begann für Aris die Schulzeit. Mit elf Jahren wurde er gleich in die vierte Klasse eingeschult, »mit geringen Vorkenntnissen«, wie Aris etwas selbstironisch beschreibt. Er machte Abitur und studierte Wirtschaftswissenschaften in Leipzig. Von 1959 bis 1991 arbeitete Aris in verschiedenen Leitungsfunktionen in der Industrie, engagierte sich in der Gewerkschaft und kümmerte sich um den Tennis-Nachwuchs und den Hochschulsport.
Aris ist kein Neider. Erst als sein Vater, der als Präsident den Rat der Jüdischen Gemeinden der DDR leitete, starb und die Dresdner Gemeinde den Sohn bat, ob er sich nicht um sie kümmern wollte, »beschied ich das nicht abschlägig«, wie Aris es gern in seinem heute aus der Mode gekommenen vornehmen Sprachduktus formuliert.
Seine Reisen nach Budapest, Salamanca, Fribourg, Montreal oder West-Berlin, die er gemeinsam mit Siegmund Rotstein in Sachen jüdische Gemeinschaft antrat, ließen ihn nur kurz über eine Flucht aus der DDR nachdenken. »Die Familienbindung war zu groß«, und er kehrte immer wieder zurück. »Wie einen Jungbrunnen, einen großen Glücksfall« habe er die deutsche Wiedervereinigung empfunden.
Wiedervereinigung 400 Mitglieder insgesamt zählte die Gemeinschaft in Ost-Berlin, Dresden, Leipzig und in wenigen anderen Orten. Mit der Zuwanderung von Juden aus der ehemaligen Sowjetunion kam eine riesige Herausforderung auf sie zu. »Obwohl eine Minderheit eine Mehrheit integrieren musste, war es die Minderheit, die das bewerkstelligte«, sagt Aris. Seit seinem Ausscheiden aus dem Beruf widmete er sich als Geschäftsführer der Dresdner Gemeinde um deren Geschicke und »das mit großer Freude, 20 Jahre und zwei Monate lang«.
Das nimmt er genau, doch die Gelassenheit und Selbstverständlichkeit, in der er es tut, nimmt man dem freundlichen Herrn alter Schule gern ab. Nur eins bringt ihn auf die Palme: »Wenn innerjüdische Streitigkeiten in aller Öffentlichkeit – und ganz bewusst dort – ausgetragen werden und allen antisemitischen Klischees neue Nahrung geben.« Aris gehört zudem zu den absoluten Verfechtern eines NPD-Verbots. Viel zu spät haben seiner Meinung nach die Medien auf den Einzug der rechtsextremen Partei in den Sächsischen Landtag reagiert.
Ämter Um seine Engagements im Stiftungsrat Sächsischer Gedenkstätten, des Jüdischen Museums Berlin oder dem Kuratorium der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas sowie seine Mitgliedschaft im Rundfunkrat des MDR macht der nun bald 80-Jährige wenig Aufhebens. Seinen Einsatz um die jüdische Gemeinschaft würdigte der Freistaat mit dem Sächsischen Verdienstorden. »Das reicht mir«, sagt Aris, gefragt nach dem Bundesverdienstkreuz.
Als Präsidiumsmitglied zuständig für die Bildungsarbeit im Zentralrat, muss der »Reisefaule« viel herumfahren. Eigentlich sieht er sich zu Hause im Fernsehen gern Naturfilme und aktuelle Dokumentationen auf Phoenix an. Beim Frühstück liebt er es süß, Kaffee sowie Brötchen mit Marmelade und das »gern zur Dienstbesprechung mit meiner Mitarbeiterin Frau Wagner in der jüdischen Gemeinde«.