Nach den Sommerferien 2012 beginnt in Osnabrück ein Experiment: An einer Grundschule sollen jüdische, christliche und muslimische Kinder gemeinsam unterrichtet werden. Die Vertreter der beteiligten Gemeinden wollen mit dem Projekt einen Beitrag zur Verständigung unter den drei abrahamischen Religionen leisten. Ein entsprechender Kooperationsvertrag wurde am 18. März unterschrieben.
Das bundesweit einmalige Projekt ist umstritten. Aber Michael Grünberg, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Osnabrück, ist froh darüber, dass jüdischen Kindern seiner Gemeinde nun eine Schule zur Verfügung steht. »Unsere Kinder sind jetzt auf viele Schulen verteilt und sagen in der Regel nicht, dass sie Juden sind.«
Interesse Anmeldungen für die neue Drei-Religionen-Schule liegen Grünberg zwar noch nicht vor, er erwartet jedoch reges Elterninteresse beim ersten Informationsabend am 3. April. Der Grund für den Optimismus des Gemeindevorsitzenden: Für ein ähnliches Kindergartenprojekt, das im Sommer in der katholischen St.-Barbara-Kita startet, liegen ihm schon 16 Anmeldungen vor. Die meisten dieser Kinder dürften nach Grünbergs Einschätzung später auch in die neue Grundschule wechseln.
Voraussetzung für die Aufnahme in die Drei-Religionen-Schule: Die Eltern müssen dem Konzept der Schule zustimmen. So ist beispielsweise die Teilnahme am Religionsunterricht Pflicht. Wenn noch Plätze frei sind, werden auch nichtkonfessionelle Kinder aufgenommen. Sie müssen sich aber für einen Religionsunterricht entscheiden. Einen weltanschaulich neutraler Unterricht im Fach Werte und Normen wird es nicht geben. »Die Kooperationspartner entwickeln und gestalten diese Schule gemeinsam zur Lern- und Lebensgemeinschaft von jüdischen, christlichen und islamischen Kindern, Eltern und Lehrkräften«, heißt es im Kooperationsvertrag.
sensibel Konkret bedeutet das für Grünberg: »Jedes Kind ist an dieser Schule willkommen und kann die Gebote seiner Religion erfüllen.« Alle respektierten die Vorschriften der anderen. Im Schulalltag sollen die religiösen Überzeugungen und Riten zum Thema gemacht und beachtet werden. Zu religiösen Festen sollen möglichst auch die anderen eingeladen werden. Der Schulkalender wird »religionssensibel« gestaltet. So wird es keinen Klassenausflug an Jom Kippur, Allerheiligen oder am Zuckerfest geben. Menora, Kreuz und Halbmond bekommen ihre Plätze in der Schule.
Träger dieses Projektes ist die Schulstiftung des katholischen Bistums Osnabrück. Juden und Muslime haben ein Anhörungsrecht in grundsätzlichen Fragen. Dabei geht es vor allem um die Entwicklung des Schulprogramms, um den Religionsunterricht und um Angebote außerhalb des Unterrichts. Neben christlichen Lehrern werden auch jüdische und muslimische Pädagogen eingesetzt. Für Michael Grünberg sowie Avni Altiner von der Schura, dem Landesverband der Muslime in Niedersachsen, und Metin Süer, Vorstand der DITIB-Türkisch-Islamischen Gemeinde, gute Voraussetzungen für das Projekt.
Der Evangelisch-Lutherische Kirchenkreis sieht das anders. Er fühlt sich in einem Beirat unterhalb der Ebene der Schulträgerschaft, in dem er in religiösen Fragen lediglich Anhörungsrecht genießt, zum Juniorpartner degradiert. So kritisieren die Protestanten an den Vereinbarungen unter anderem, dass Vorsteher der beteiligten Religionen Kinder der anderen von bestimmten religiösen Feiern ausschließen können. Grundsätzlich wolle man lieber multireligiöses Lernen an allen öffentlichen Schulen unterstützen.
kritik Das ist auch Kern der Kritik einiger Kommunalpolitiker. Sie befürchten, dass eine multireligiöse Privatschule zur pädagogischen Kuschelecke für Kinder bessergestellter und besser integrierter Eltern wird. Eine solche Schule verschärfe die Probleme der öffentlichen Schulen.
Mit diesen Argumenten lehnte im Februar 2009 der Osnabrücker Stadtrat das Vorhaben der evangelischen Kirche ab, die Trägerschaft für eine Gesamtschule zu übernehmen. Dass dann vergangenen Dezember eine Mehrheit für die Drei-Religionen-Schule zustande kam, lag daran, dass Teile der Grünen den multikulturellen Ansatz überzeugend fanden. Inzwischen freut sich Grünen Fraktionschef Michael Hagedorn, dass kurz vor der Vertragsunterzeichnung auch noch die DITIB ins Boot geholt wurde, die die große Gruppe der türkischen Muslime repräsentiert.
Im Dezember reichten die Fraktionschefs von CDU, FDP und Grünen einen Antrag ein, der mit 25 zu 21 Stimmen angenommen wurde. Danach wird das Schulgebäude der bisher öffentlich-katholischen Johannisschule die Drei-Religionen-Schule beherbergen. Ein Drittel der Betriebskosten trägt künftig die Stiftung.
Name Die Schule wird voraussichtlich auch künftig Johannisschule heißen. »Wir wünschen uns, dass sie weiterhin den Namen des Täufers trägt«, sagte Winfried Verburg, Leiter der Schulabteilung des Bischofs. Johannes sei ein guter Namenspatron, selbst Jude, einer der ersten Heiligen der katholischen Kirche und im Koran als asketischer Mann geehrt. Für Michael Grünberg ist vor allem eines entscheidend: »Jüdische Kinder haben in einer solchen Schule erstmals die Chance, ihren Glauben selbstbewusst zu leben.«