Einen Verdienstorden hätte die Israelitische Religionsgemeinschaft Württembergs (IRGW) ihrem Alt-Landesrabbiner Joel Berger als Zeichen von Dank, Respekt und Verehrung schon längst gerne selbst an die Brust geheftet. »Aber wir dürfen keine Auszeichnungen verleihen«, bedauerte Vorstandsvorsitzende Barbara Traub aus Anlass der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes am Bande an Rabbiner Joel Berger für sein beispielhaftes Lebenswerk.
»Die Spuren, die Sie hinterlassen haben, sind tief und unübersehbar«, rühmte der baden-württembergische Kultusminister Andreas Stoch (SPD), der die Auszeichnung überreichte, Berger in seiner Laudatio. Nicht nur in seiner Amtszeit als Landesrabbiner von 1980 bis 2002, sondern bis heute fördere er den interkulturellen und interreligiösen Dialog, wirke unermüdlich daran mit, Vorurteile abzubauen, und schlage Brücken.
»Dank Ihres lebenslangen Einsatzes konnte aus dem Nebeneinander von Christen und Juden wieder ein Miteinander entstehen.« Zusammen mit dem verstorbenen Ehrenvorsitzenden der IRGW, Meinhard M. Tenné, habe er großen Anteil daran, dass der jüdische Religionsunterricht an öffentlichen Schulen eingeführt wurde.
Integration Als die zugewanderten Juden aus der ehemaligen Sowjetunion die Gemeinde auf 3000 Mitglieder anwachsen ließen, sei es Berger und seinem Bemühen um Integration zu verdanken gewesen, dass sie, ihre Kinder und Enkel heute ganz selbstverständlich in der Gemeinde zu Hause seien. Dafür ehrte ihn die Landesregierung 2001 mit der Verdienstmedaille des Landes. Für seine Lehrtätigkeit an der Universität Tübingen war ihm die Ehrendoktorwürde verliehen worden.
Das Bundesverdienstkreuz, betonte der Minister, würdige auch den Menschen hinter den Ämtern, »eine weltoffene, sprachmächtige und charismatische Persönlichkeit mit Charme und Humor«. Bergers lockere und anekdotische Erzählkultur, für die ihm obendrein eine sonore Stimme zu Gebote stehe, schätze auch eine große Fangemeinde von Radiohörern. Denn Berger ist regelmäßig im SWR, in Radio Bremen, im MDR Figaro und im BR mit Beiträgen zum Judentum zu hören.
Raoul Wallenberg Stoch sprach auch von Joel Bergers bewegtem Leben. Geboren 1937 in Budapest, stand dieses Leben bald unter unheilvollen Vorzeichen, weil Ungarn bereits 1938 antijüdische Gesetze erlassen hatte. Nachdem die Deutschen 1944 Ungarn besetzten, begannen die Deportationen, denen Berger und seine Mutter im internationalen Ghetto in den Schutzhäusern des schwedischen Diplomaten Raoul Wallenberg entkamen. Der Vater überlebte das KZ Bergen-Belsen.
Die Befreiung durch die Sowjet am 16. Januar 1945 habe, so Berger, nur fünf Minuten Freiheit gebracht. Beim Ungarnaufstand 1956 wurde er verhaftet. 1957 begann er ein Studium am Rabbinerseminar Budapest, das er 1963 abschloss. Parallel absolvierte er an der Universität Debreczen ein Lehramtsstudium in Geschichte und Pädagogik für Gymnasien. 1968 emigrierte Berger nach Deutschland und wirkte seither als Rabbiner in Düsseldorf, Göteborg, Bremen und Stuttgart.
»Rabbiner a.D.? Alt-Rabbiner?« Beides wollte Barbara Traub kaum aussprechen. Ein Rabbiner sei nie außer Dienst. Und von »alt« könne erst recht keine Rede sein. Seit acht Jahren kuratiert Berger zusammen mit seiner Frau Noémi die Jüdischen Kulturwochen in Stuttgart. Für einen Forschungsauftrag im Haus der Geschichte Baden-Württemberg arbeitet und schreibt er über die jüdische Volkskultur im Südwesten. Und in Bad Kissingen macht er regelmäßig im Auftrag der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland als eine der Integrationsautoritäten zugewanderte russische Juden mit jüdischem Leben vertraut. Einen Beitrag zu »Tikkun Olam« bescheinigte ihm Barbara Traub. »Sie haben zur Verbesserung der Welt beigetragen und das Judentum in Deutschland gestärkt. Die jüdische Gemeinde ist stolz auf Sie und freut sich mit Ihnen.«
Wegbegleiter Diese Freude prägte die Atmosphäre im Gemeindezentrum mit vielen Gästen und Wegbegleitern. Umso mehr, als Berger der Feier seine ganz persönliche, heitere Note verlieh: Auf seinen Wunsch spielten Dina (Geige) und Lola Fatkhullakhodjaeva (Klavier) Operettenmelodien von Emmerich Kálmán. »Das ist die Musik meiner Kindheit«, erklärte Berger und versicherte, wie dankbar er ist. Dafür, dass er zwei Diktaturen überlebt hat. Dankbar, dass er hier als anerkannter freier Bürger leben kann.
Stolz und dankbar für seine Frau Noemi, die als Vorsitzende der WIZO Stuttgart bereits das Bundesverdienstkreuz bekam, aber den Ordensglanz an diesem Tag allein ihrem Mann überließ. Dankbar für seine zwei Kinder und sechs Enkel: »Das ist das wahre Glück. Im Talmud steht, wenn ein Großvater seine Enkel hebräisch über die Tora sprechen hört, ist das wie ein Klang aus dem Paradies.«