Leipzig

Managerinnen des Alltags

Ein Konferenzraum im Leipziger Ariowitsch-Haus: Die Tische sind zu einer langen Tafel zusammengeschoben, darauf stehen neben Kaffeetassen, zweisprachigen Ausgaben des Pentateuch, Smartphones und goldfarbenen Konferenzmappen auch Trinkfläschchen sowie Babyspielzeug.

An der Stirnseite des Tisches sitzt Rebbetzin Dara Goldschmidt und interpretiert die Tora. 14 Frauen hören konzentriert zu, manche machen sich Notizen, andere wiegen Babys auf ihrem Schoß. Hier findet inzwischen schon die dritte Eishet-Chayil-Konferenz für Ehefrauen von Rabbinern aus ganz Deutschland statt – diesmal unter dem Motto »Connecting – to Hashem, to yourself and to others«.

»In Deutschland gab es nahezu gar keine Unterstützung für Rebbetzinen«, sagt Hadassa Halpern, die das Programm leitet, und selbst mit einem Rabbiner verheiratet ist. »Die Männer genießen eine intensive vierjährige Ausbildung, und dann sollen sie in eine Gemeinde gehen. Und ihre Frauen bekommen damit eine Aufgabe, auf die sie nicht vorbereitet wurden, von der sie keine Vorstellung haben, wie sie sie wahrnehmen können.«

Onlinekurse Daher wurde mit anderen Mitarbeiterinnen des Rabbinerseminars und der finanziellen Unterstüzung der Matanel-Foundation das Eishet-Chayil-Programm ins Leben gerufen. Zusätzlich zu den halbjährlich stattfindenden Konferenzen gibt es jeden Monat eine Internetvorlesung mit internationalen Gastdozenten und Onlinekurse zu verschiedenen Themen. Außerdem bekommen die Rebbetzinen Mentoren an die Seite gestellt.

Doch die Konferenzen sind das Herzstück des Programms. An zwei Tagen sollen sowohl religiös-spirituelle als auch professionelle Aspekte in den Blick genommen werden. Zu diesem Zweck haben die Veranstalterinnen zwei Referentinnen eingeladen: Rebbetzin Goldschmidt, die mit ihrem Mann seit 1986 in Moskau lebt, dort viel Bildungsarbeit geleistet hat – und die laut den Veranstalterinnen für viele jüdische Frauen ein spirituelles Vorbild ist. Und die Psychologin und Verhaltenstherapeutin Marina Chernivsky, die den Teilnehmerinnen unter dem Motto »Managing Diversity« wichtigen Input für die Gemeindearbeit gibt. Gerade mit Blick auf die kulturelle Diversität in den jüdischen Gemeinden bietet sie den Frauen konkrete Handreichungen zur Kommunikation mit Gemeindemitgliedern mit ganz unterschiedlichem kulturellen Hintergrund.

»Die Frauen sollen in ihrer Arbeit gestärkt und motiviert werden, sie sollen sehen, was sie damit erreichen können, und dass sie nicht alleine sind«, sagt Sarah Serebrinski, die das Programm mit betreut. Sie hofft, dass sich ein Netzwerk aus Frauen bildet, die sich gegenseitig unterstützen, auch über längere Distanzen hinweg. »Man ist zum Teil schon sehr isoliert, wenn man als fromme Familie in einer kleinen Stadt lebt. Da gibt es ja kaum andere jüdische Familien – und orthodoxe erst recht nicht.«

frauenbild Es sind vor allem junge Frauen, die den Weg in das Programm und nach Leipzig gefunden haben – die Ältesten sind um die 30. Viele von ihren Männern studieren noch – »Rebbetzin in training« nennt man das hier.

Die Frauen sind sorgfältig geschminkt, die Röcke immer überknielang, es dominieren praktische Schuhe und Halsketten, die über dem Pullover getragen werden. Und bei aller Rede von Frauennetzwerken und »Empowering« bleibt die Veranstaltung eine konservative. Es geht darum, den Frauen zu helfen, ihre Rolle zu finden und Erwartungen gerecht zu werden, nicht darum, traditionelle Rollenbilder infrage zu stellen.

Im Laufe der zwei Tage ist die Diskussion immer dann am lebhaftesten, wenn es um konkrete Probleme geht: Wie umgeht man Einladungen von Gemeindemitgliedern, wenn man deren Küchenstandards misstraut? Wie reagieren, wenn die Kinder an Festtagen überhaupt keine Lust haben, sich zu benehmen? Was tun, wenn einem bei einer offiziellen Veranstaltung der Ministerpräsident die Hand schütteln will?

Fragt man die Frauen, was sie aus dem Seminar mitnehmen, wird an erster Stelle der Erfahrungsaustausch genannt. Denn hier wird etwas geboten, was im Leben einer Rebbetzin eher selten ist: die Möglichkeit, sich mit ihresgleichen auszutauschen, mit Frauen, die in einer vergleichbaren Lebenssituation sind und sich ähnlichen Herausforderungen stellen müssen. Vor allem der, ihre Verpflichtungen als Ehefrau und Mutter unter einen Hut zu bringen mit ihrem Beruf und ihren Aufgaben in der Gemeinde.

»Wir lernen, dass nicht nur wir in dieser Situation sind und diese Probleme haben, und hören Lösungsansätze und Ideen von den anderen. Das ist sehr hilfreich«, erklärt Sara Rivka Drey. Und Debby Kahanovsky findet: »Die zwischenmenschlichen Kontakte tun sehr gut, gerade, wenn man sehr eingespannt ist mit Familie und Job. Hier kann man mit der Freundin bis nachts um zwei quatschen.« Beide Frauen leben nach Stationen in anderen Städten in Berlin, während ihre Männer zwischen dem Wohnort und ihren Gemeinden – Amberg und Halle/Saale – pendeln müssen.

Spass Die Rebbetzinen fühlen sich wohl miteinander und haben Spaß, das ist deutlich zu merken. So ist das auch vonseiten der Veranstalterinnen gedacht: Sie sollen hier entspannen und auch mal etwas für sich tun können. Deshalb wurde in dem Hotel, in dem die Teilnehmerinnen untergebracht sind, gleich das Spa dazugebucht: mit Schwimmbad, Sauna und allem Drum und Dran.

»Wir verbringen so viel Zeit damit, anderen zu geben, dass wir vergessen, auch uns selbst etwas zu geben«, hat Hadassa Halpern den Teilnehmerinnen gleich zu Anfang gesagt. »Diese Veranstaltung soll Seele, Geist und Körper erfrischen, damit ihr noch mehr zurückgeben könnt, wenn ihr nach Hause kommt.« Das scheint gelungen zu sein. Eine Rebbetzin formuliert es so: »Man lacht viel zusammen, das ist das Tolle.«

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