Lea und Levi halten die Challot in den Händen, lächeln sich an und sagen die Bracha. Lea ist »Mama Schabbat« und Levi »Papa Schabbat«. Die Versuchung, in die warmen und duftenden Challot hineinzubeißen, ist groß. Aber die beiden Kleinen sind sich der Würde ihrer Rollen bewusst. Und sie wissen: Gleich wird Nelly Pushkin, Lehrerin für Religion und Hebräisch, an alle Kinder Challot verteilen, denn die Brote haben die Mädchen und Jungen des Kindergartens der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württembergs (IRGW) selbst gebacken. Es ist Schabbat, und was die Jüngsten der IRGW heute gelernt haben, soll in den Familien weiterleben.
»Zwerge«, »Eisbären«, »Davids Sterne«: 55 Kinder sind in drei Altersgruppen im Kindergarten der IRGW in Stuttgart angemeldet. Mehr als die Hälfte stammt aus jüdischen Familien, die anderen aus nichtjüdischen. Miriam Tamar Leitner findet es schwierig, als Jüdin in Deutschland ohne die Unterstützung der Gemeinden zu leben. »Meine Tochter lernt hier im Kindergarten unsere Sprache, Kultur und Gebräuche«, sagt die 31-Jährige.
Elternabende »Wir wohnen in Deutschland, aber ich möchte, dass Lea beides mitbekommt«, sagt die Mutter. »Wir haben eine große Familie in Israel.« Weil sie ihrer Tochter eine feste Basis im Leben wünscht, tendiert Miriam Tamar Leitner dazu, Lea auch in der Grundschule der IRGW anzumelden. Dass im Kindergarten regelmäßig Elternabende und Gespräche stattfinden, findet die Mutter sehr wichtig. »Es ist toll, wenn Eltern einbezogen werden, hier wird nichts über unsere Köpfe entschieden, wir nehmen Einfluss«, sagt Miriam Tamar Leitner.
Miriam Waldmeier ist Erzieherin und vertritt ihre Chefin Sabina Morein. Dass es in einem jüdischen Kindergarten selbstverständlich ist, auch mit den Kleinsten Bräuche wie das Morgengebet, Händewaschen und die Schabbatfeier einzuüben, war der Nichtjüdin schon bei ihrer Bewerbung bekannt. »Ich habe jetzt acht Jahre lang Erfahrungen in jüdischen Kindergärten«, sagt die gebürtige Schweizerin. Sehr spannend findet sie es, dass sie täglich neu dazulernen kann. »Die Offenheit, mit der hier jeder akzeptiert wird, wie er ist, ist ein Grund, weshalb ich mich wohlfühle«, sagt Waldmeier. Ihr zur Seite stehen Kolleginnen, die die Kinder auch in Musik und Rhythmik, Religion und hebräischer Sprache fördern.
Zedaka »Was heißt ›tanzen‹?«, ruft Nelly Pushkin jetzt beim Kabbalat Schabbat in die Runde. »Lirkod«, rufen ein paar der Älteren zurück. Der spielerische Umgang mit der Sprache gehört zum Programm. Und tanzen, das mögen alle. Auch Golda, heute die jüngste, will aus ihrem Stuhl heraus und mitten im Kreis tanzen. Längst auch haben Lea und Levi ihren Platz hinter dem Tisch verlassen. Die Kinder haben sich für den Schabbat schön angezogen, haben Blumen als Schmuck für den Schabbattisch mitgebracht und lernen die Bedeutung der Geldspende (Zedaka) kennen.
Die Öffnungszeiten der Kita sind familienfreundlich, viele Mütter arbeiten in Teilzeit. Der Preis staffelt sich je nachdem, ob die Familien eine Bonuscard der Stadt Stuttgart vorweisen können, richtet sich aber auch nach dem Alter der Kinder und der Zahl der Geschwister. Das pädagogische Konzept mit Sprachförderung, Bastelnachmittagen, Aktivitäten im Freien, Ausflügen in die Umgebung, Musik- und Hebräischunterricht orientiert sich an den Jahreszeiten und Feiertagen.
Inzwischen sind Lea und Levi, Golda und die anderen Kinder erschöpft vom Tanzen. Gleich wird das Mittagessen gebracht. Der Mittagschlaf allerdings, der findet zuhause statt.