Auktion

»Makaber und geschmacklos«

Einige der bei der Münchner Auktion versteigerten Objekte gehörten wohl zum Bestand der Nürnberger Prozessakten. Foto: dpa

Die Bitte von Oberbürgermeister Dieter Reiter hat nicht gefruchtet, die Aufforderung von IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch nach einer rechtlichen Prüfung zeigte ebenfalls keine Wirkung, die Mahnung des Zentralratspräsidenten Josef Schuster blieb ebenfalls, wie die weltweiten Irritationen, ungehört. Die makabre Versteigerung von so skurrilen Gegenständen wie der Unterhose von Hermann Göring und dem Strick, mit dem Judenhasser Julius Streicher hingerichtet wurde, hat wie geplant am Wochenende im Münchner Auktionshaus »Hermann Historica« stattgefunden.

Der Begriff »Geschmacklosigkeit«, der in Zusammenhang mit der umstrittenen Auktion von vielen verwendet wurde, ist nach Ansicht von IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch eine zu ungenaue Charakterisierung des »makabren und geschmacklosen Schauspiels«. Die Auktion, sagt Knobloch, »zeugt vor allem auch von einem mehr als fragwürdigen Umgang mit unserer Geschichte«.

zweifel Das in die Kritik geratene Auktionshaus fühlt sich missverstanden. In einer Erklärung teilt es mit: »Die Hermann Historica ist sich der verhängnisvollen Geschichte von 1933 und 1945 völlig bewusst und lehnt alle neonazistischen und nationalsozialistischen Strömungen ab.« Mit der Auktion diene man bloß der Wissenschaft und der zeitgeschichtlichen Aufarbeitung, so die Argumentation des Hauses. Nicht nur Charlotte Knobloch, auch viele Wissenschaftler haben an der Aussage solcher Darstellungen Zweifel. »Wo, bitte schön, ist der wissenschaftliche Wert von Görings Unterhose? Da kann sie noch so groß sein«, erklärt Knobloch.

An der starren Haltung von »Hermann Historica« ist Oberbürgermeister Dieter Reiter schon einmal gescheitert. »Ich hatte das Auktionshaus bereits im Jahr 2014 gebeten, eine ähnliche Auktion abzusagen oder zumindest sicherzustellen, dass die versteigerten Objekte nicht zur Verherrlichung des Nationalsozialismus missbraucht werden. Leider ohne Erfolg«, erklärte er wenige Tage vor der Versteigerung. Anders verlief es auch diesmal nicht.

Die Unterwäsche des ehemaligen Nazi-Reichsfeldmarschalls, Kleidungsstücke von Adolf Hitler und Eva Braun oder Fotografien gehörten noch zu den harmloseren Objekten des anrüchigen Auktionsangebots. Eine Röntgenaufnahme von Hitlers Schädel, ein zerfranstes Teil des Henkerseils oder der Metallbehälter, in dem die Giftampulle aufbewahrt worden sein soll, mit der sich Göring das Leben nahm, sind auch im Vergleich mit anderen Auktionen des weltweit florierenden Devotionalienhandels mit Relikten aus dem Nationalsozialismus besonders geschmacklos. »Solche Veranstaltungen«, ist Charlotte Knobloch überzeugt, »fördern den Nazi- und Führerkult.«

handel Für die Gegenstände, die dabei den Besitzer wechseln, werden enorme Summen bezahlt. Eine Jacke von Hitler wechselte für fast 300.000 Euro den Besitzer. Axel Drecoll vom Institut für Zeitgeschichte und Leiter der Dokumentation Obersalzberg, zieht eine ernüchternde Bilanz: »Offenkundig ist die Faszination an diesen Personen so groß, dass die Leute eben doch, um ein Stück dieses Hitlers oder dieses Görings selbst zu Hause haben zu können, bereit sind, entsprechende Summen für diese Gegenstände zu bezahlen.« Auch auf Sammlerplattformen im Internet ist das Geschäft mit den Devotionalien mehr als 70 Jahre nach Ende der NS-Zeit sehr erfolgreich.

Die Forderung von IKG-Präsidentin Knobloch nach juristischen Schritten gegen die Versteigerung mit dem Ziel, solche Auktionen zu verbieten und den einschlägigen Handel mit den »Nazi-Souvenirs« einzudämmen, kommt nicht von ungefähr. Gerade die Auktion in München offenbarte, in welchen diffusen Milieus sich der Handel abspielt. Dessen ungeachtet lieferte das Auktionshaus mit den beiden Namen John K. Lattimer und Robert Kempner selbst einen Hinweis auf die zwielichtigen Eigentumsverhältnisse etlicher angebotener Objekte. Sie wurden in der Ausstellungsbeschreibung als die Vorbesitzer jener Stücke angegeben.

John K. Lattimer und Robert Kempner kamen den Nazi-Kriegsverbrechern sehr nahe. Lattimer war US-Arzt und für die medizinische Betreuung der Nazis in Haft zuständig. Robert Kempner war Stellvertreter des amerikanischen Chefanklägers im Prozess vor dem Internationalen Gerichtshof in Nürnberg. Was beide noch »auszeichnet« und sich auch im Auktionsangebot niederschlug: Bei ihnen landeten Dokumente und Beweisstücke, die eigentlich zum Bestand der Nürnberger Prozessakten gehören und im Privatbesitz nichts zu suchen haben. Die Möglichkeit, sie sich anzueignen, bot sich allemal.

Giftampulle Aus John K. Lattimers Nachlass stammen unter anderem das Henkerseil und die Giftampulle. Er war der Erste, der die Leiche von Hermann Göring untersuchte. Hatte er den Behälter für die Giftampulle bei dieser Gelegenheit tatsächlich eingesteckt? Und wo hatte er die anderen Utensilien aus dem Privatbesitz der Nazis her?

Zweifelhaft sind auch die Eigentumsverhältnisse jener Dokumente, die angeboten wurden und Robert Kempner gehört haben. Wie seit dem Verfahren in Zusammenhang mit seinem Nachlass vor wenigen Jahren feststeht, hat auch er sich aus den Akten des Prozesses bedient. Unter anderem steckte er das Tagebuch von Hitlers Chefideologen Alfred Rosenberg ein, der den Kunstraub der Nazis im großen Stil organisierte und auch das verschollene Bernsteinzimmer aus St. Petersburg abtransportieren ließ.

Trotz dieser Umstände sah auch das bayerische Justizministerium keine Möglichkeit, die Auktion zu verbieten. Es sei zwar durchaus strafbar, in Deutschland Kennzeichen einer ehemaligen nationalsozialistischen Organisation zu verbreiten oder Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen öffentlich zu verwenden. Anders verhalte es sich aber bei NS-Devotionalien: Der bloße Besitz oder der bloße Ankauf ohne die Absicht, die Objekte zu verbreiten, sei grundsätzlich nicht strafbar.

Frankfurt

30 Jahre Egalitärer Minjan: Das Modell hat sich bewährt

Die liberale Synagogengemeinschaft lud zu einem Festakt ins Gemeindezentrum

von Eugen El  09.12.2024

Frankfurt/Main

»Mein Herz blutet«

In Israel herrsche »Balagan«, Chaos, sagt Chaim Sharvit. Er steht hier denen zur Seite, die zum ersten Jahrestag des 7. Oktober dunkle Gedanken haben. Ein Besuch in Deutschlands größtem jüdischen Altenheim in Frankfurt

von Leticia Witte  14.10.2024

Gedenkveranstaltung

Steinmeier: Wer überlebt hat, trägt schwer an der Last

Fünf Jahre nach dem rechtsextremen Anschlag besucht Bundespräsident Steinmeier die Tatorte.

 09.10.2024

Frankfurt

Graumann und Grünbaum zur Doppelspitze in der Frankfurter Gemeinde gewählt

Den Vorstand vervollständigen Rachel Heuberger, Daniel Korn und Boris Milgram

von Christine Schmitt  09.10.2024

Berlin

»Ein bewegender Moment«

Am Donnerstag fand in Berlin die feierliche Ordination von zwei Rabbinerinnen sowie sechs Kantorinnen und Kantoren statt. Doch auch der monatelange Streit um die liberale Rabbinatsausbildung in Deutschland lag in der Luft

von Ralf Balke  09.09.2024 Aktualisiert

Neue Potsdamer Synagoge

Am Freitag wird der erste Gottesdienst gefeiert

Nach der feierlichen Eröffnung im Juli soll nun das religiöse Leben in der Synagoge in Potsdam langsam in Gang kommen. Am Wochenende sind erste Gottesdienste geplant

 06.09.2024

IKG

»Ein großer Zusammenhalt«

Yeshaya Brysgal zieht nach einem Jahr als Jugendleiter eine positive Bilanz und plant für die Zukunft

von Leo Grudenberg  04.09.2024

Keren Hayesod

»Das wärmt mir das Herz«

Der Gesandte Rafi Heumann über seinen Abschied von Berlin, deutsche Spielplätze und treue Spender

von Christine Schmitt  04.09.2024

Porträt der Woche

Sinn ernten

Caro Laila Nissen half nach dem 7. Oktober Bauern in Kibbuzim nahe Gaza

von Lorenz Hartwig  01.09.2024