Einschusslöcher umrahmt von zersplittertem Holz: Die Spuren der Gewalt sind immer noch zu sehen. Wohl kaum eine Tür in Deutschland hat in den vergangenen Monaten so viel Aufmerksamkeit erregt wie die Synagogentür von Halle. Sie hatte am 9. Oktober den schwer bewaffneten Rechtsterroristen Stephan B. daran gehindert, in das Gotteshaus einzudringen und ein Blutbad unter den gut 50 Menschen anzurichten, die dort den jüdischen Feiertag Jom Kippur begingen. Vom »Wunder von Halle« war danach die Rede. Als »heilig« wurde die Tür bezeichnet.
Wenige Zentimeter neben der Tür steht Lidia Edel, knallgelbe Jacke, ein fröhlicher Farbtupfer an diesem grauen Wintertag. »Manchmal kommen Leute vorbei und kratzen Holzsplitter aus der Tür«, sagt die 18-Jährige. »Sie meinen, das bringt Glück und Sicherheit.«
PRojektleitung Die Tür wird nun bald ausgetauscht, voraussichtlich im März. Weggeschmissen wird sie nicht: Sie soll künstlerisch gestaltet und ausgestellt werden. Die Projektleitung liegt bei der jungen Frau aus Halle, die als Künstlerin schon länger für die Gemeinde aktiv ist. »Das wird ein Zusammenspiel von allen Menschen, die mitwirken, und soll die Gemeinschaft stärken«, sagt Edel. Auch die Kinder der Gemeinde sollen einbezogen werden.
Die ersten Entwürfe des Kunstwerks hat sie schon, in stundenlanger Arbeit ausgefeilt. »Kunst kann man nicht sofort kreieren. Das ist ein Prozess«, sagt Edel. Standort, Material, Ausarbeitung, all das muss noch entwickelt werden. Doch die Bedeutung steht schon fest: »Leben und Sicherheit«, erklärt die 18-Jährige.
Auch wenn in ihrem Kopf bereits ein Bild entstanden ist, wie die Tür am Ende aussehen wird, verraten will Projektleiterin Lidia Edel es noch nicht.
Auch wenn in ihrem Kopf bereits ein Bild entstanden ist, wie die Tür am Ende aussehen wird, verraten will sie es noch nicht. »Zum Jahrestag wollen wir das Kunstwerk enthüllen«, sagt Edel, die nach ihrem Abitur gerne Kunst studieren will.
Stolpersteine Der Kunsthistoriker Olaf Peters von der Universität Halle sieht Anknüpfungspunkte zu den Stolpersteinen, mit denen in Deutschland und zahlreichen weiteren Ländern Europas an die Opfer der Nazis erinnert wird. Die Motivation, auf zurückliegende Verbrechen aufmerksam zu machen, sich mitunter einer bestimmten Metaphorik zu bedienen, könnte die Projekte verbinden, sagt er. »Die Stolpersteine sind für mich das gelungene Beispiel einer Kunstaktion, die Denkanstöße liefern soll und dabei Orte markiert, an denen historische Ereignisse stattgefunden haben.«
Zum anderen erkennt er Ähnlichkeiten mit Projekten von Künstlern wie etwa Joseph Beuys, Jochen Gerz oder Mischa Kuball, die sich seit den 60er und 70er Jahren kritisch mit dem Nationalsozialismus auseinandergesetzt haben. »Diese Projekte können auch als Versuch einer Traumabewältigung und Auseinandersetzung mit der eigenen Identität gesehen werden, die die Verbrechen des eigenen Volkes, der eigenen Gesellschaft bewusst halten und zu integrieren versuchten.«
Beispiele für die künstlerische Verarbeitung von schrecklichen Ereignissen gebe es viele, sagt Peters. Künstler wie Francisco Goya, Pablo Picasso oder Otto Dix hätten diesbezüglich weltbedeutende Werke geschaffen. »Natürlich muss man in diesem Fall zwischen einem Projekt wie der Synagogentür als unmittelbarer Reaktion und den mitunter hoch komplexen Werken bildender Künstler unterscheiden.«
Werkstatt Szenenwechsel: Die Werkstatt von Lidia Edel befindet sich im Keller der Jüdischen Gemeinde, knapp zwei Kilometer von der Synagoge entfernt. Acrylfarben stehen in großen Flaschen auf einer Pressspanplatte, Pinsel liegen bereit. Gerade arbeitet sie an einem Wandbild der Bahá’í-Gärten in der israelischen Hafenstadt Haifa.
Edel gibt Kindern Kunstunterricht und hat viele Bilder an die Wände der Gemeinde gemalt. Und auch wenn die Einzelheiten des Kunstwerks Synagogentür noch geheim ist, eines steht schon fest: »Ich kann schon mal verraten, dass es sehr viel mit Holz zu tun haben wird«, sagt Edel. Der Grund: »Die Menschen altern mit den Bäumen. Sie symbolisieren immerwährendes Leben, Wachstum und Beständigkeit.«