Im legendären Dokumentarfilm Shoah von Claude Lanzmann (1985) brach der polnische Untergrundkämpfer Jan Karski zum ersten Mal nach Kriegsende sein Schweigen. Eine umfassende Biografie, die als erstes deutschsprachiges Buch sein ganzes Leben erzählt, hat nun die in Krakau geborene Journalistin Marta Kijowska verfasst.
Das Leben des Jan Karski heißt das bei C.H. Beck erschienene Buch. Im Hubert-Burda-Saal stellte die in München lebende Autorin am 8. April ihre Studie im Gespräch mit dem Historiker Jürgen Zarusky vom Institut für Zeitgeschichte vor. Passagen aus dem Buch las der Schauspieler Hans Jürgen Stockerl.
Tarnname In ihrer Einführung erinnerte die Leiterin des IKG-Kulturzentrums, Ellen Presser, an den Besuch Karskis im Januar 1997 in den alten Räumen des Kulturzentrums in der Prinzregentenstraße. Der damals 82-jährige emeritierte Professor für Osteuropakunde war an diesem Tag zum ersten Mal nach 55 Jahren wieder nach Deutschland gekommen – das Land, durch das er 1942 unter dem Tarnnamen Jan Karski nach Frankreich reiste. Der Name sollte ihm bleiben.
Im Gepäck hatte er einen präparierten Hausschlüssel, in dem Mikrofilme versteckt waren, die die Situation im besetzten Polen zeigten. Darüber hinaus berichtete Karski auch als Augenzeuge: Er hatte sich ins Warschauer Ghetto und ins Lager Izbica Lubelska einschleusen lassen. Davon berichtete er in alle Welt, auch dem US-Präsidenten Roosevelt. Zu dem Resultat meinte Karski, wie die Süddeutsche Zeitung einmal notierte: »Während des Krieges ließen die Regierungen und die Kirchen die Juden im Stich, aber nicht die Einzelnen, die sich ihre Menschlichkeit bewahrt haben.«
2011 erschien Karskis Bericht an die Welt erstmals auf Deutsch. Über sein frühes Leben in Lodz, sein Engagement im polnischen Untergrund, seine Suche nach Hilfe im Westen bis zu seinen Stationen in den USA berichtet Marta Kijowska in ihrem Buch, in dem sich auch viele Fotos finden.
Distanz Wie es zu diesem Buch kam, fragte Jürgen Zarusky die Autorin. Ihre Antwort war ganz einfach: Über Karski sei viel geschrieben worden. Doch seine Zeit vor und nach der Schoa sei dabei nicht berücksichtigt worden. Genau diese Jahre indes hätten Karski sehr geprägt. »Da gibt es den politischen Wissenschaftler, den Historiker, der seine eigene Tätigkeit und das, was geschah, kritisch betrachtet«, unterstrich Kijowska. Das versuche sie auch zu zeigen, was eine kritische Distanz zu sich und Karskis Umgebung bedeute, führte sie aus.
Karskis polnisches Studium wurde in den USA nicht anerkannt. So studierte er, forschte, schrieb Bücher. »Er begreift im Laufe seiner wissenschaftlichen Arbeit, was damals hinter den Kulissen der Politik passiert ist«, so die Autorin.
In seinem 1944 veröffentlichten Bestseller Story of a Secret State und der anschließenden Lesereise durch die USA wurde vieles über die Schoa einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Dann aber wurde es wieder still um den »Mann, der den Holocaust stoppen wollte«, wie auf dem Einband des jetzt erschienenen Buches zu lesen ist. In seinem Vortrag im IKG-Kulturzentrum 1997 hatte Jan Karski selbst eine Bilanz gezogen: »Leben mit einer offenen Wunde, die nicht heilt – die Erinnerung an den Holocaust«.
Karskis Mission, die in Gesprächen mit den Spitzen der westlichen Welt über die NS-Gräueltaten seinerzeit scheiterte, wird mit dem Buch von Marta Kijowska in einer neuen Dimension fortgesetzt. Hier ist Jan Karski nicht mehr der Kurier, der die Politiker aufrütteln will. Er ist, wie es im Untertitel heißt, zum »Kurier der Erinnerung« geworden.