Was haben die Kreisstadt Konstanz und Meersburg, die Kleinstadt zwischen Überlingen und Friedrichshafen, gemeinsam? Sie haben beide nicht nur idyllische Gässchen und wunderschöne Plätze – sie teilen sich zum ersten Mal auch ein jüdisches Kulturprogramm.
Bis zum 27. Juli finden in den beiden Bodenseestädten die Jüdischen Kulturwochen 2017 statt, wobei mit über 30 Veranstaltungen ein Programm zusammengestellt wurde, das für jeden Geschmack etwas zu bieten hat. Heiteres und Trauriges, Geschichte und Gegenwart – jüdische Kultur vom Feinsten wollen die Synagogengemeinde Konstanz und der Kulturverein Meersburg zum Besten geben.
Jüdisches Leben Es ist denn auch vielmehr Absicht als nur bloßes Weglassen, dass die Jüdischen Kulturwochen unter keinem bestimmten Motto stehen. Verfolgen doch alle Lesungen, Konzerte, Filmvorführungen und diverse Ausstellungen laut Peter Stiefel, dem Vorsitzenden der Synagogengemeinde Konstanz, vor allem ein Ziel: Sie sollen auf das jüdische Leben und die vielseitige jüdische Kultur in der Region aufmerksam machen.
»Jüdischkeit wird oft nur über die Religion wahrgenommen. Es ist an der Zeit, dies zu ändern«, sagt Stiefel. Es sei ihm ein Anliegen, dass sich Menschen mit jüdischem Hintergrund, die in der Bodenseeregion leben, aber nur wenig Bezug zur lokalen jüdischen Geschichte haben, für die vielschichtige Kultur, die sich über Jahrhunderte hinweg aus dem Judentum entwickelt hat, interessieren. »Viele Zugereiste aus den ehemaligen Sowjetstaaten kennen das reiche jüdische Erbe hier nicht.« Gemeinsam mit Michael E. Dörr, Vorsitzender des Kulturvereins Meersburg und Geschäftsführer der Konstanzer Gemeinde, will er die Aufmerksamkeit auf eine jüdische Welt lenken, deren Schlüssel Musik, Sprache, Literatur und Humor bilden.
So eröffnete Joel Berger, der ehemalige Landesrabbiner der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württemberg, die Kulturwochen mit einem Referat über das Jüdische in der deutschen Sprache. Der Konstanzer Historiker Helmut Fidler ging gemeinsam mit Besuchern auf Spurensuche nach Orten des jüdischen Lebens in Konstanz. Seit Jahren befasst er sich mit der Geschichte der Juden im Bodenseeraum.
rabbi Wolff Zu Gast sein wird auch die Regisseurin Britta Wauer, die am 25. und 26. Juni ihren Film Rabbi Wolff – Ein Gentleman vor dem Herrn zeigt und anschließend ein Gespräch über Entstehung und Hintergründe dieser Dokumentation führt. Am 17. und 18. Juli wird Alfred A. Fassbind, ebenfalls in beiden Städten, einen Abend für Joseph Schmidt gestalten. Fassbind ist Kurator des Joseph-Schmidt-Archivs bei Zürich und Verfasser der führenden Joseph-Schmidt-Biografie Sein Lied ging um die Welt. In Erinnerung an den kleinen Tenor mit der großen Stimme, der schon in den 30er-Jahren ein Publikumsliebling war, werden Originaltonaufnahmen gespielt und Filmausschnitte gezeigt.
Peter Stiefels persönliches Highlight ist Raffael Wieler-Blochs Lesung am 15. Juli in Konstanz. Raffael Wieler-Bloch hat feinfühlig, geistreich, subtil und manchmal auch traurig das Leben und Werk des gehörlosen Porträt- und Landschaftsmalers Richard Liebermann nachgezeichnet.
Weiterer Höhepunkt ist der niederländische Kabarettist und Entertainer Robert Kreis, der am 27. Juni im Spiegelsaal des Meersburger Neuen Schlosses und am 28. Juni im Wolkenstein-Saal des Kulturzentrums Konstanz mit seinem Programm »Verehrt, verfolgt, vergessen – eine Hommage an jüdische Unterhaltungskünstler-Innen« gastiert.
Kostenfreier Eintritt Kreis’ Vorstellung bildet denn auch die einzige Ausnahme bei den Kulturwochen. Zu allen anderen Veranstaltungen wird kein Eintritt erhoben. Mittels Sponsoren konnten laut den Veranstaltern die Kosten gedeckt werden. »Es war uns ein wichtiges Anliegen, dass wir unsere Lesungen und Vorträge ohne Eintritt anbieten können, um allen Interessierten einen Besuch dieser Veranstaltungen zu ermöglichen«, sagte Stiefel.
Die Schirmherrschaft der Jüdischen Kulturwochen haben unter anderem Rami Suliman, Vorsitzender der Israelitischen Religionsgemeinschaft Baden, Bernhard Erbprinz von Baden, der Konstanzer Landrat Frank Hämmerle sowie der Konstanzer Oberbürgermeister Uli Burchardt und sein Amtskollege aus Meersburg, Robert Scherer, übernommen.
In Rostock gehen derweil an diesem Donnerstag die zweiten Jüdischen Kulturtage zu Ende. Zwei Wochen lang haben sie mittels Musik, Film und Literatur jüdisches Leben in der Hansestadt transparent werden lassen. Unterstützt wurde die Jüdische Gemeinde dabei unter anderem von der Hansestadt und dem Zentralrat der Juden in Deutschland, dem Literaturhaus, dem Max-Samuel-Haus sowie der Heinrich-Böll-Stiftung Mecklenburg-Vorpommern. Michaela Selling, Leiterin des Amtes für Kultur und Denkmalpflege, betonte denn auch in ihrer Eröffnungsrede: »Wir haben wieder jüdisches Leben in der Stadt«, und das wolle man auch zeigen.
Eine Art Klammer bildet die Ausstellung »Autorität und Freude« im Kröpeliner Tor, mit der die Kulturtage eröffnet wurden und die noch bis zum 30. Juli zu sehen ist. Sie zeigt unter dem Thema »Jüdisches Leben in Polen heute« Bilder des polnischen Fotografen Harry Weinberg. Er illustriert das langsame Erwachen des jüdischen Lebens in Polen nach dem Fall des »Eisernen Vorhangs«. Das Montagskino der Heinrich-Böll-Stiftung ergänzte Harry Weinbergs Ausstellung durch den Film Wir sind Juden aus Breslau. Die Dokumentation greift das Schicksal von 14 Juden nach 1933 auf.
Junge Generation Neben der Vergangenheit wollte die Jüdische Gemeinde vor allem das Gegenwärtige und Positive in den Vordergrund rücken. Auch deshalb hatte man sich entschieden, die Kulturtage vom düsteren November in den Frühsommer zu verlegen und der jungen Generation mehr Aufmerksamkeit zu widmen.
Unter dem Titel »Schum Davar« ehrte die Chanteuse Sandra Kreisler den sehr eigenen Humor ihres Vaters Georg Kreisler und mischte ihn mit traditionellen Liedern und neuen Songs. Die jungen Autoren Lena Gorelik und Dmitrij Kapitelman unterstrichen mit ihren Lesungen im Literaturhaus das moderne Judentum. Ihrer beider Thema ist ihr Leben zwischen Russ- land und Deutschland, ihre Religion und die Brücke zwischen den Kulturen.
Ein weiteres Highlight war die Verleihung der Ehrenbürgerwürde der Hansestadt Rostock an den Landesrabbiner von Mecklenburg-Vorpommern, William Wolff. Die Laudatio hielt der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck, selbst Ehrenbürger der Hansestadt.
Den Abschluss der zweiten Jüdischen Kulturtage wird am 22. Juni das Konzert der »Hamburger Klezmer Band« in der Jüdischen Gemeinde bilden, die zugleich ihr zehnjähriges Jubiläum feiert. »Die 14 Tage waren für mich die Erfüllung eines Traums und gaben der jüdischen Gemeinde in Rostock Raum zur Entfaltung«, sagte Juri Rosov. Aufmerksamkeit haben sie allemal erlangt. Saßen doch politische Schwerge- wichte wie Finanzsenator Chris Müller, Michaela Selling, Leiterin des Amtes für Kultur und Denkmalpflege, und Angrit Lorenzen-Schmidt von der Geschichtswerkstatt schon bei der Eröffnung neben Juri Rosov in der ersten Reihe.