»Old Abraham« steht auf dem Schild, das vor der Tür der Kamenzer Straße 11 in der Dresdner Neustadt baumelt. Das Schaufenster ist vollgestopft mit Schmuck, Kosmetik und israelischen Weinen. Der Laden selbst ist hell, freundlich und übersichtlich. In den zwei Räumen stehen schlichte weiße Regale, in denen, ordentlich und dekorativ arrangiert, israelische Produkte ausliegen. Es ist ruhig an jenem Donnerstagabend. Eine Stunde vor Ladenschluss klingelt nur ein paar Mal das Telefon. Dann betritt doch noch eine junge Frau mit Kind das Geschäft.
Während sie die Kamelledersandalen anprobiert, kommt sie mit den Ladenbesitzern Regina und Andreas Däbritz ins Gespräch. Sie will in zwei Wochen nach Israel fahren und ist sich nicht sicher, ob sie so leichtes Schuhwerk überhaupt dort gebrauchen kann. Vor der Ladentür verwandelt sich der Schnee langsam in Matsch. Ein Blick der Geschäftsinhaber auf den Computerbildschirm neben der Kasse genügt und die Kundin weiß, mit welchem Wetter sie bei ihrer bevorstehenden Israelreise rechnen kann. Die Sandalen gehen über den Ladentisch.
kontakte »Die Begegnung mit unterschiedlichen Menschen reizt uns am meisten«, sagt Regina Däbritz. Seit September 2008 betreibt sie mit ihrem Mann Andreas das kleine Geschäft. Um ihre eigenen Chefs sein zu können, haben die beiden 53-Jährigen einige Sicherheiten aufgegeben. Beide arbeiteten lange für die evangelische Kirche. Andreas Däbritz war in der Verwaltung der Dresdner Kreuzkirche sogar seit der DDR-Zeit verbeamtet.
Mit den Jahren beschäftigten sie sich zunehmend mit der Kirchengeschichte. Sie hinterfragten immer häufiger die Grundlagen der Institution. Nicht nur bekannte Themen wie die Kreuzzüge, sondern bereits Entscheidungen unter Kaiser Konstantin ließen sie zweifeln. Schließlich wollten Regina und Andreas Däbritz die Kirche nicht mehr als Arbeitgeber haben.
Mit den Kündigungen verunsicherten sie jedoch auch ihre Kinder, mittlerweile 21, 25 und 27 Jahre alt. Wie würden sie ihren Lebensunterhalt sicherstellen können? Doch das hat sich gegeben. »Sie sagen inzwischen, das wir im Vergleich zu unserer kirchlichen Tätigkeit um vieles lockerer geworden sind«, erzählt Andreas Däbritz. Rückblickend pflegen er und seine Frau mit einem Augenzwinkern zu sagen: »Mit 50 haben wir unser Schabbatjahr genommen.« Gleichzeitig war ihnen natürlich klar, dass sie dringend einen Job brauchten, mit dem sie sich ihre Brötchen verdienen zu können. Wie sie nun ausgerechnet auf israelische Waren und Lebensmittel kamen, wissen sie gar nicht so eindeutig zu beantworten. Eine Gedenkfeier anlässlich des 60. Jahrestages der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz habe sie immer wieder gedanklich beschäftigt. Zudem sei Israel eines der ersten Länder gewesen, in das sie gleich nach der Wende gereist seien.
Heute können sie ihre Israeltouren als Geschäftsreisen abrechnen. Sie haben in dem Land Freunde gefunden und darüber Verbindungen zu kleinen Händlern geknüpft. Dank der direkten Kontakte haben sie auch die Kamelledersandalen im Sortiment. Kosmetik und Lebensmittel, die den koscheren Anforderungen entsprechen, beziehen sie aber über Zwischenhändler in Deutschland. »Dafür gelten einfach zu strenge Einfuhrbedingungen«, erklärt Andreas Däbritz.
Spielregeln Um die kleinen Mengen, die sie für ihren Laden brauchen, aus dem Drittland Israel zu importieren, sei der bürokratische und finanzielle Aufwand, den man bei Berücksichtigung der EU-Vorschriften betreiben muss, zu groß. Die Däbritzens fühlen sich auch noch nicht als geborene Geschäftsleute. Erst allmählich steigen sie hinter all die betriebswirtschaftlichen Spielregeln. So entpuppt sich etwa die farbenfrohe Holzkunst eines Israelis, die sie selbst so schön finden, als Ladenhüter. Sie muss raus aus dem Sortiment, dafür sollen Produkte, wie Salz aus dem Toten Meer, hinzukommen. Außerdem wollen sie ihren Online-Shop besser gestalten. Ein Kaufsschlager ist auch die Kosmetik, da sie für Allergiker geeignet ist.
Fundus Reiselustige, Studenten oder Neugierige auf der Suche nach Geschenken kämen vorbei. »Besonders im Dezember kommen die Leute, um für Weihnachten einzukaufen«, erzählt Andreas Däbritz. Im Old Abraham finden sich auch viele Judaica-Produkte. Ein Armband, bestückt mit glitzernden Davidstern-Anhängern, wirkt auf manchen vielleicht kitschig, bisweilen wittert einer darin den Ausverkauf jüdischer Kultur. Doch Regina und Andreas Däbritz sehen das nicht verbissen: »Es gibt ja auch Afrika- oder Indienläden.«
Orthodoxe Juden zählen nicht zu ihren Stammkunden. »Es kommen nur manchmal welche, die ihren Schabbatwein kaufen und schnell wieder verschwinden«, hat Regina Däbritz beobachtet. Liberale Juden schauten häufiger vorbei. »Zwei junge Juden, die hier in der Nachbarschaft wohnen, kamen kurz nach der Eröffnung und haben sich über unseren Laden gefreut«, erinnert sich die Inhaberin.
Mit ihrem Mann sucht sie auch bewusst den Kontakt zum jüdischen Leben in Dresden. Mit dem Verein für jüdische Kulturarbeit »Hatikva« haben sie auf dem Stadtfest »Bunte Republik Neustadt« gemeinsam einen Stand. Außerdem beliefern sie die Jüdische Gemeinde und das Café Scho-
schana meist mit koscherem Wein und Bier. »Einen Geschäftspartner in Dresden zu haben, ist von Vorteil. Ohne Umstände können wir Ware, auch in kleinsten Mengen, ordern«, freut sich Christine Anusiewicz, Betreiberin des Cafés, das sich mit im Dresdner Gemeindezentrum befindet.
»Vieles verstehen wir noch nicht«, sagen Regina und Andreas Däbritz mit Blick auf die jüdische Religion. Sie beschäftigen sich Schritt für Schritt mit jüdischen Traditionen, debattieren am heimischen Küchentisch über Texte und Torastellen. »Was in der Tora steht, entspricht oft unserem Wertmaßstab«, resümiert Andreas Däbritz vorsichtig. Ob sie vielleicht einmal zum Judentum konvertieren, möchten die Eheleute noch nicht sagen. Sie sind auf der Suche. Insofern kommt der Name ihres Ladens nicht von ungefähr. »Der alte Abraham hat sich ja auch auf einem langen Weg befunden«, gibt Regina Däbritz zu bedenken und lächelt.