Die Kölner Innenstadt erstrahlt im sanften morgendlichen Rot. Das Treiben auf den Straßen kommt nur langsam in Gang. In der Ehrenstraße 75 wird bereits seit kurz nach Mitternacht gearbeitet. Das fünfstöckige Haus gehört zur Bäckerei Zimmermann, einem Familienunternehmen in fünfter Generation.
Seit 1875 werden hier Brote gebacken. Im Gewölbekeller des Gebäudes stehen nicht nur das Fundament des ehemaligen Ehrentores, sondern auch drei Öfen. Vom Bürgersteig werden gerade 25-Kilo-Säcke Roggenvollkornschrot, Roggenvollkornmehl und Steinsalz über eine Mehlrutsche nach unten befördert. Es wird handwerklich traditionell gebacken – und koscher. Ein Maschgiach überwacht die Bäckerei.
schwarzbrot Über die Stadt hinaus ist die Bäckerei Zimmermann für ihr rheinisches Schwarzbrot bekannt. Viele Kölner Juden kennen den kleinen Laden, der keine weitere Filiale betreibt, wo es aber auf Vorbestellung jeden Freitag frischgebackene Challot für den Schabbat gibt.
Obwohl die Zimmermanns das schon seit Jahrzehnten machen, hat sich erst der ehemalige Kölner Rabbiner Netanel Teitelbaum für eine Zertifizierung stark gemacht: Bleche wurden gekaschert, die Backstube aufwendig rituell gereinigt und die Zutaten für die Brote kontrolliert. »Aus der Backstube selbst haben wir alle tierischen Produkte, wie Schweineschmalz, verbannt. Außerdem wurden verschiedene Sorten Bleche hinzugekauft – koscher heißt ja auch nichts anderes als rein«, erklärt Bäckermeister Andreas Zimmermann, der zusammen mit seinem Bruder den Betrieb führt.
Seitdem kommt jeden Morgen der Maschgiach in die Backstube, schaut über die Zutaten und entzündet das Feuer des koscheren Ofens. Mit dieser minimalen Aufgabe entspricht das Brot den Bestimmungen, als »pat israel« zu gelten. Dafür muss ein praktizierender Jude am Backprozess teilhaben, mindestens aber das Feuer anzünden.
nussstangen In den Ofen für das koschere Brot dürfen jedoch keine süßen Backwaren wie Croissants, Weckchen und alles, was Milch oder Butter enthält, hinein, weil es sonst als milchig gelten würde. Dafür gibt es eben die unterschiedlichen Bleche und Öfen. Jedes Jahr wird das Koscher-Zertifikat, das an der Wand im Verkaufsraum hängt, erneuert.
Die vielen Stammkunden wissen ohnehin, dass das Brot dem jüdischen Reinheitsgebot entspricht, aber es kommen immer wieder neue Kunden oder Touristen herein, die sich das Zertifikat genau anschauen. Auch die Kantine Weiss, das koschere Restaurant der Kölner Synagogen-Gemeinde, ist seit mehr als 30 Jahren Kunde bei den Zimmermanns.
Anfangs hat Elisabeth Weiss, die Chefin der Kantine, das Brot noch selbst gebacken. Dann wurde ihr von der Gemeinde die Bäckerei Zimmermann empfohlen, und seitdem ist sie mit der Auswahl sehr zufrieden. Am liebsten isst sie selbst die Nussstangen und das Kornlaib, aber im Prinzip kaufe sie jegliches Brot für ihr Restaurant.
Makkabiade Sogar die Makkabiade, die im vergangenen Jahr mit knapp 2300 Athleten in Berlin stattfand, bezog das Brot von den Zimmermanns. Dafür musste ein Tiefkühlhaus organisiert werden, weil die Kapazitäten der kleinen Backstube in der Ehrenstraße einfach nicht ausgereicht hätten. So wurden nach und nach Tausende Challot gebacken: Zwei Wochen lang fuhr ein Transporter mit Challot zum Kühlhaus.
Für Andreas Zimmermann hat das Koscher-Zertifikat jedoch auch eine weitere Bedeutung: »Natürlich ist das auch eine wirtschaftliche Überlegung, denn sonst verliert man ja auch einen gewissen Kundenstamm.« Viele jüdische Kunden gehören seit Jahren, manche sogar seit Jahrzehnten, dazu. Familien wie die Liebermanns und die Sterns kamen in die Backstube.
Zimmermanns Mutter, Christa Zimmermann, die immer noch ihren festen Platz im Betrieb hat, erinnert sich: »Schon die Großeltern hatten vor dem Krieg ganz viele jüdische Kunden, die hier ihr Schabbatbrot kauften. Das hat sich in den Kindern und Enkelkindern fortgesetzt und jeden Freitag backen wir auch diese Zöpfe, entweder mit Mohn oder Sesam drauf.«
geschichten Etwas verlegen reagiert Andreas Zimmermann bei der Frage nach der Rolle der Bäckerei während des Zweiten Weltkriegs. Auf keinen Fall möchte er in die Schublade der Plattitüde »Wir-haben-auch-Juden-versteckt« geraten.
Er formuliert also sehr vorsichtig, was in der Synagogen-Gemeinde Köln ohnehin viele wissen: »Ein Kunde hat erzählt, dass er hinten, wo die Pferdekutschen und Pferde waren, heimlich das übrig gebliebene Brot bekommen hat. Daraus entstand die Erzählung, dass nach dem Krieg die Überlebenden zu uns kamen und bei uns das Brot kauften. Aus dieser Tradition heraus backen wir eben auch koscheres Brot.« Für diese Geschichte habe er aber keine Belege, sagt Zimmermann. Er finde es schwierig, zu sagen, dass seine Familie groß geholfen hätte. Andreas Zimmermann lehnt sich nicht aus dem Fenster. Bis auf das üppig gefüllte Schaufenster herrscht hier Bescheidenheit.
Was an den Geschichten dran ist, ist schwer nachzuprüfen. Auffällig ist jedoch, mit welcher Selbstverständlichkeit die Familie Zimmermann die Kaschrut-Regeln zugunsten der Koscher-Zertifizierung befolgt. Das ist umso erstaunlicher, als hier mit der langen Bäckertradition und den alten Rezepten geworben wird.
Mit einem Funken Stolz sagt Christa Zimmermann: »Es kommt kein Zuckerkulör in unser Schwarzbrot, es ist natur, so wie der Urgroßvater das schon gemacht hat. Wir verwenden überhaupt keine Zusätze.« Ohne großes Aufsehen, sondern in stiller Genugtuung, wird in der Ehrenstraße täglich – bis auf sonntags – nach altem Brauch frisches koscheres Brot gebacken.