Auf Orden oder Auszeichnungen hat er nie Wert gelegt. Termine für die offizielle Verleihung müssen ihm jedes Mal hart abgerungen werden. Er ist Träger des Bundesverdienstkreuzes, der hessischen Wilhelm-Leuschner-Medaille und der Darmstädter Freundschaftsplakette. Am heutigen Donnerstag erfährt Moritz Neumann eine weitere Ehrung.
»Für seine Verdienste um die Verständigung zwischen den Religionen und das kulturelle und gesellschaftliche Leben« erhält der langjährige Vorsitzende des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden in Hessen und Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Darmstadt die Verdienstplakette der Stadt Darmstadt.
Die Kommune ehrt damit Neumanns jahrzehntelanges Engagement »für die Erinnerungskultur, den christlich-jüdischen Dialog, sein Eintreten gegen Antisemitismus und Fremdenhass«. Oberbürgermeister Jochen Partsch (Die Grünen) würdigt »sein Wirken als engagierter, kenntnisreicher und wortgewandter Botschafter des Judentums«.
Integration Neumann habe jüdische Traditionen und Werte vermittelt, er habe sich 2003 nach dem Fund von Mauerresten für den Gedenkort Liberale Synagoge in der Stadt stark gemacht und bereits in den 80er-Jahren maßgeblich am Wiederaufbau der Synagoge mitgewirkt. Es sei sein Verdienst, dass die russischsprachigen Zuwanderer, die heute die Mehrheit in der rund 800 Mitglieder zählenden Gemeinde stellen, erfolgreich integriert sind.
In der Gemeinde gilt Neumann, der auch dem Direktorium des Zentralrats der Juden in Deutschland angehört, als Vaterfigur. »Moritz Neumann ist Kopf, Herz und Seele der Jüdischen Gemeinde Darmstadts, die wiederum wichtiger Bestandteil unserer Stadtgesellschaft ist. Wir sind froh, einen wie ihn in unserer Mitte zu haben«, so Partsch.
Stadtrat Darmstadts früherer Oberbürgermeister Peter Benz (SPD) holte den streitbaren Redakteur als »das moralisches Gewissen« in den ehrenamtlichen Magistrat der Stadt. Neumann war zu Zeiten Willy Brandts zu den Sozialdemokraten gestoßen. Fast zehn Jahre lang, von 1997 bis 2006, war er Stadtrat in der 150.000 Einwohner zählenden Stadt, und nie nahm er während dieser Zeit ein Blatt vor den Mund. Der 66-Jährige ist als charmanter, unterhaltsamer Erzähler geschätzt und als scharfzüngiger Kritiker gefürchtet.
Als Journalist schrieb er für mehrere Tageszeitungen, auch für die Jüdische Allgemeine. Im Hessischen Rundfunk sprach er Beiträge für die Sendung »Aus der jüdischen Welt«, zudem ist er Autor mehrerer Bücher. Sein wohl wichtigstes Werk ist der biografische Roman Im Zweifel nach Deutschland. Darin erzählt er die Geschichte seiner Eltern, die den Holocaust überlebten.
Seine Mutter litt in Auschwitz, sein Vater floh vor den Nazis in die französische Fremdenlegion. Nach dem Krieg blieben sie im »Land der Täter«, obwohl sie eigentlich auswandern wollten. Von seinen Eltern, sagt Neumann, wurde er »zum Widerspruch erzogen und dazu, dass wir uns nicht dafür verstecken, Juden zu sein«.