München

Komödienschtetl

Purim war gerade vorbei, da fand auf Einladung der Europäischen Janusz Korczak Akademie und des Kulturzentrums der Israelitischen Kultusgemeinde ein Abend statt, der es in sich hatte. Robby Rajber, der schon vor über 15 Jahren einen Jiddisch-Zirkel in München initiiert hatte, versammelte spielfreudige, jiddischkundige Mitstreiter, die allesamt bereit waren, sich wieder einmal narrisch zu machen. Mit dabei waren Dora Harman und Roman Haller, die sich auch um die jiddischen Abschriften klassischer Sketche kümmerten, Benny Meiteles und Eli Teicher sowie als Neuzugang Hanna Zweifler.

Unter dem Motto »Glatt Jiddisch« – was so viel bedeuten soll wie Jiddisch von A bis Z – boten die sechs Akteure, begleitet von Françoise Sharell am Piano, auf der Bühne des Hubert-Burda-Saals so etwas wie ein jiddisches »Sketch-up« voller Maisalach und Lozalach. Das sind »Geschichterl« und erweiterte Anekdoten aus dem Alltag kleiner »Menschalach« mit all ihren Nöten, ihrer eigenwilligen Logik und ihrem Humor, auf alles eine Antwort zu haben oder zumindest eine zu suchen.

Mameloschn Man sagt, die Glanzzeit des jiddischen Theaters seien die 20er- und 30er-Jahre gewesen. Zu den humoristischen Ausläufern zählen unter anderem das Komikerpaar Shimen Dzigan (1905–1980) und Israel Schumacher (1908–1961). Von diesen aus Lodz stammenden Comedians sind aus den Nachkriegsjahren, die sie nach Israel geführt hatten, hinreißende Dialoge auf Schallplatte und Kassette überliefert. Auch der etwas jüngere Yaakov Bodo (Jahrgang 1931), der zu den Säulen des »Yiddishspiel Theaters« in Tel Aviv gehörte, zählt zu den geborenen jüdischen Comedians. Dank CD und Video ist auch von ihm vieles dokumentiert.

Die Mitwirkenden von »Glatt Jiddisch« stammen alle aus Familien, in denen sie Mameloschn – Jiddisch als Muttersprache – mitbekamen. Und es gibt in München noch immer einen »grojsen ojlem«, der sich nostalgisch dafür interessiert. So konnte Roman Haller in seiner Begrüßung ein Riesenpublikum bitten, seine »keschene-fones« (Mobiltelefone) abzuschalten. Dann stimmte er die Zuschauer auf einen Abend ein, der die »neschume« (Seele) und das »harz« (Herz) ansprechen werde.

Als Einstieg gab es ein dokumentarisches Fundstück, nämlich Ausschnitte aus einer Wochenschau über die Wiedereröffnung der Synagoge in der Reichenbachstraße im Mai 1947. Abgesehen von den deutschen und amerikanischen Ehrengästen dürften die meisten Anwesenden mit Jiddisch vertraut gewesen sein. An diese Sprache »dahejm mit tate und mame« sollte sich das Publikum »dermanen« (erinnern).

Chinese Und das tat es mit Freuden, oder genauer: mit Freudentränen. Im Hubert-Burda-Saal genügte es schon, wie Robby Rajber als jüdischer Chinese aus Czernowitz auf die Bühne tippelte und Benny Meiteles als Doktor seine Sprechstunde begann – das Publikum bog sich vor Lachen. Meiteles hatte sein Outfit mit Arztkittel, Spiegel und Stethoskop bei drei richtigen »doktojrim« organisiert, bevor er seine freche Szene mit der ihm assistierenden Krankenschwester, verkörpert von Hanna Zweifler, abzog.

In acht Sketchen ging das Purimspiel rasant über die Bühne. Dabei war oft im »schmejchel« (Lächeln) auch eine »trere« (Träne) verborgen. Immerhin ging es in »Iberbeten« mit Robby Rajber als »grober jid« und Eli Teicher als »frumer« mit feinstem Galizianer Zungenschlag um das Motiv des Versöhnens vor Jom Kippur. Und im Schlagabtausch »Einstein-Weinstein« versucht ein Zeitungsleser (Roman Haller) seinem begriffsstutzigen Bekannten (Robby Rajber) die Weltpolitik und Einsteins Relativitätstheorie zu erklären. Mit dem Unterschied von Diktatur und Demokratie fängt er an: »Diktatur is a san ordening in a san land, wus di regierung tit, wus sie will in dus folk mejg sech nisch aranmischen. Demokratie is a ordening in a san land, wi dus folk mejg sech jo aranmischen in di regierung tit sowiso, wus si will.«

Was macht man, genauer gesagt: Was macht frau (Dora Harman) mit einem frisch ertappten Ganoven (Eli Teicher) beim Einbruch im Nachbarhaus? Man lädt ihn zum Tee ein und sorgt damit dafür, dass der Ehemann, Richter von Beruf, »parnuse« (Einkommen) hat. Eine andere ungewöhnliche Begegnung widerfährt einem Beamten (Robby Rajber) am Flughafen von Tel Aviv, wo ein »malech« (Engel) ohne Flügel landet, weil »a sputnik hot mir arubgerissen di fligel«. Meiteles als Gesandter aus dem Paradies wundert sich: »Far wus fliegen di irdische menschen asoi in di himmlen?«

dating Im letzten Sketch »Blind Date« wird eine Alternative zum »schadchen« (Heiratsvermittler) geboten. Die moderne Frau trifft sich mit einem Kandidaten im koscheren Sushi-Restaurant und arbeitet ihren optimierten Fragenkatalog ab: Ob man eine »Familiengeschichte mit Tay-Sachs« (eine bei aschkenasischen Juden häufiger vorkommende Fettstoffwechselstörung) oder ein »Schwacher-Magen-Syndrom« habe? Ob man schon in Israel gewesen sei? Wer den Koffer gepackt habe? Wenn das die Mutter war, gibt es offenbar gleich Punkteabzug.

Für die Theatertruppe bedeutete diese einmalige Aufführung eine monatelange intensive Vorbereitung, wobei Eva Haller und Viktoria Lewowsky zur Seite standen. Wer mit dem Tempo der Darbietung oder manchen jiddischen Begriffen nicht zurechtkam, fand auf drei Bildschirmen, zeitgleich zum Bühnengeschehen, die deutsche Übersetzung.

Zum Finale gab es den Yaakov-Bodo-Song »Sug, sug, sug, men ken meschige weren«. Der Saal konnte mit in das Lied einstimmen, und alle verließen den Abend hejmisch berührt von der vertrauten Sprache, beschwingt durch die Musik von »Bei mir bist du schejn«, »Avremel der Marwicher« und »Matchmaker« aus Anatevka. Und das Schönste: »Glatt Jiddisch« hatte viele Gemeindemitglieder an den Jakobsplatz gelockt, die offenbar eine große Sehnsucht nach jiddischsprachiger Kultur verbindet.

Frankfurt/Main

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