Wenn die Jüdische Gemeinde Frankfurt Lesungen veranstaltet, lassen sich die Besucher in zwei Gruppen aufteilen: die Greenhorns und die alten Hasen. Die Unerfahrenen schlendern im Foyer am Büchertisch vorbei und gönnen sich ein Glas Wein.
Die Erfahrenen verschieben das und steuern zunächst einmal schnurstracks den Festsaal der Gemeinde an, um Plätze zu reservieren. Denn wenn sich Autoren wie Wladimir Kaminer, Louis Begley oder Leon de Winter ein Stelldichein geben, ist der Saal vor allem eines: voll. Wer da als Zuhörer nicht klug taktiert, ist den ganzen Abend in Bewegung, um auch von einem hinteren Platz aus möglichst viel Mimik und Gestik der Vortragenden zu erhaschen.
Auch während der Jüdischen Kulturwochen 2011, die die Gemeinde dieses Jahr vom 4. bis 18. September veranstaltet, stehen vier Lesungen auf dem Programm. »Diese liegen mir als Buchjunkie besonders am Herzen«, gestand Dieter Graumann, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, bei der Programmvorstellung. Eine positive Abhängigkeit. Denn sicher sind ihr nicht nur die Qualität der eingeladenen Autoren mit zu verdanken, sondern auch der mitreißende Enthusiasmus, mit dem Graumann die Schriftsteller vor ihrer Lesung einzuführen pflegt.
experimente Den Auftakt der Lesungen macht während der diesjährigen Kulturwochen denn auch ein Autor, auf den sich Graumann »besonders freut«: Eshkol Nevo. Der Israeli liest aus seinem Buch Wir haben noch das ganze Leben, die deutsche Übersetzung trägt Doris Adler vor, die quasi die Kulturabteilung der Jüdischen Gemeinde in persona ist.
Einen Tag nach dem preisgekrönten Autor tritt die Schauspielerin Nina Hoger auf und liest mit Klesmer-Begleitung Werke der Dichterin Else Lasker-Schüler. Adriana Altaras und Astrid Rosenfeld sind am selben Abend an der Reihe. Rosenfeld ist mit ihrem Buch Adams Erbe erst am 17. August vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels als eine von 20 Autoren für den Deutschen Buchpreis 2011 nominiert worden. Die Lesung wird ein »Experiment«, wie Graumann es nennt, denn die beiden Autorinnen werden parallel lesen. »Mal sehn, wie’s klappt.«
Comedian Gespannt ist Graumann auch auf die Reaktionen, die der Auftritt des Comedians Oliver Polak hervorrufen wird. »Ich darf das, ich bin Jude« heißt Polaks Show. »Er ist gewöhnungsbedürftig, provozierend, frech und voller Chuzpe. Und geht manchmal bis hart an die Schmerzgrenze«, weiß Graumann.
Der populäre Comedian wird sicher auch ein jüngeres Publikum anziehen. Ebenso wie die Künstler der Musikveranstaltungen. Eröffnet werden die Jüdischen Kulturwochen von Chava Alberstein. Die israelische Folk-Ikone hat mehr als 50 Alben aufgenommen, viele davon preisgekrönt. Zum Kochen bringen wird den Saal Sharon Brauner.
Die Berlinerin, die über das Schauspiel und das Cabaret zur Musikkarriere gelangt ist, mixt jiddische Evergreens mit Tangoklängen, kubanischen Rhythmen und Balkanbeats. Bekannt wurde ihre Musik unter anderem deshalb, weil sie den Soundtrack zum Film Ein ganz gewöhnlicher Jude mit Ben Becker beigesteuert hat. Jiddischkeit pur verkörpert außerdem das Rosenthal & Friends Trio unter dem Titel »We are family«. Die Klesmer-Band ist auch im Jazz und Pop zu Hause. Graumann ist stolz, dass die Gemeinde diese Musiker präsentieren kann; für große Orchester reiche indes das Budget nicht aus.
Denn dies sei, obschon die Stadt Frankfurt die Kulturwochen mit 30.000 Euro bezuschusse, im Vergleich zu anderen eher gering. Der Berliner Senat investiere jährlich 350.000 Euro in die Jüdischen Kulturwochen, und die Nordrhein-Westfalen hätten sogar stolze 1,2 Millionen Euro für ihre jüngste Veranstaltung zur Verfügung gehabt. Dennoch: »Wir sind klein, aber fein, beschaulich, aber begeisternd«, sagt Graumann.
aufklärung Letzteres haben auch jene Zuhörer erlebt, die im vergangenen Jahr das Abschlusskonzert in der Westend-Synagoge miterlebt haben. In diesem Jahr wird Oberkantor Benjamin Müller aus Antwerpen gemeinsam mit seinen drei Söhnen, Mitgliedern des Chores der Großen Synagoge von Antwerpen, dem Pianisten Jossi Fries und dem Synagogenchor der Westend-Synagoge für ein volles Haus sorgen. Dass die Synagoge dann allen interessierten Frankfurtern offensteht, nennt der Kulturdezernent der Stadt, Felix Semmelroth, wie die ganzen Kulturwochen einen »sehr wichtigen Beitrag zur gesellschaftlichen Aufklärung«.
Dazu dürfte auch die Führung durch die Ausstellung »Jüdische Ritualbäder« beitragen sowie die drei Filme, die im Kino »Orfeos Erben« gezeigt werden. Da der Festsaal der Gemeinde derzeit renoviert wird, sind neben dem Kino und der Synagoge als Veranstaltungsorte der Sendesaal des Hessischen Rundfunks, die Zentralbibliothek und das Museum Judengasse vorgesehen.
Programm und Information im Internet: www.juedischekulturwochen2011-frankfurt.de.
Kartenbestellungen unter 069/768036122
oder per E-Mail: d.adler@jg-ffm.de.
Tickets für das Konzert mit Chava Alberstein: Ticketcenter des Hessischen Rundfunks unter Telefon 069/1552000.