Jessica Ostrowicz und Olaf Kühnemann laufen durch den Ausstellungssaal der Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum. Beide sind begeistert von der Idee, moderne Kunst in einem ehemaligen Synagogenraum zu zeigen. Hier, wo früher Frauen auf der Empore beteten, sind bis Ende März Kunstwerke von 13 jüdischen Künstlern aus aller Welt zu sehen, darunter aus Polen, Russland, Deutschland, dem Iran, Portugal, Großbritannien und Argentinien. Alle Medien wurden genutzt: Malerei, Fotografie, Videokunst, Installationen, Skulpturen.
Olaf Kühnemann geht ein paar Schritte zurück, um die Lichtspots an seinem Ölgemälde zu prüfen. Das Bild mit dem Titel »Arlesheim Living Room« zeigt einen Ort seiner Kindheit in der Schweiz. Es basiert auf einer von vielen Erinnerungen an seine israelisch-deutsche Familie – samt ihren vielschichtigen psychologischen Narrativen.
Business, so der Titel der Ausstellung, ist der Versuch, verschiedene zeitgenössische jüdische Künstler in Berlin und ihre Sicht auf Identität, Heimat und Familiengeschichte zusammenzubringen – an dem Ort, wo so manche von ihnen sich auf biografische Spurensuche begeben und zwangsläufig dem Bruch der Schoa begegnen, der in ihren Familien generationenübergreifend tiefe Risse hinterließ.
RISSE Es sind diese Risse und Scherben, die Jessica Ostrowicz in ihren Kunstwerken aufgreift. Das eine, »Wailing Wall«, besteht aus Tausenden von Vögeln und Narben, die die Londonerin in 351 Stunden Arbeit in weißes Backpapier geschnitten und zu zwei spitzenartigen Vorhängen zusammengefügt hat. Aus der Ferne erkennt man die Vögel, erst die unmittelbare Nähe enthüllt auch die Einschnitte – Ritzen, in die man Gebetszettel stecken kann.
Sie habe »die Negativität mit etwas Schönem füllen« wollen, sagt die 29-Jährige. Das gilt ebenso für ihr zweites Kunstwerk, das gleich neben Olaf Kühnemanns Gemälde platziert ist: »Grandma’s Plates«, zerbrochenes und mit Steinen neu zusammengefügtes Familiengeschirr als Symbol dafür, dass das, was niemals mehr ganz wird, doch reparabel ist.
»Es ist der Blick der zweiten und dritten Generation, der sich hier entfaltet.« Anja Siegemund
Dorothea Schöne kuratiert die Schau gemeinsam mit Dorit Rubin Elkanati und Anke Paula Böttcher. Es zieht sie immer wieder zu Jessicas Klagemauer aus Backpapier. Von dort fällt ihr Blick auf die gegenüberliegende Wand, wo ein Film des argentinischen Künstlers Miguel Rothschild in Dauerschleife läuft, Rothschild claims his inheritance.
»Jeder der Künstler findet in seinem jeweiligen Werk einen ganz eigenen Zugang zu seiner Familiengeschichte. Wie setzen sich Traumata fort? Woraus setzt sich Identität zusammen? Das sind die Fragen, auf die die Schau Antworten geben will«, sagt Schöne. Die seien so bunt und breit gefächert ausgefallen wie die Hintergründe der Künstler.
FOTOALBEN Belle Shafir etwa, eine israelisch-deutsche Künstlerin, deren Fotokollagen die Besucher als Erstes empfangen, hat ihrer Komposition das Fotoalbum der Familie zugrunde gelegt und es Schicht für Schicht scherenschnittartig angereichert mit eigenen Bildern, Geschichten und Bewusstseinsmotiven. »Immer wieder geht es um die lokale Prägung«, erklärt Kuratorin Dorothea Schöne.
Ganz anders hingegen die Bilder von Anna Schapiro und Karolyn Morovati, die sich vom Bildlichen gelöst haben und eher das Repräsentative suchen: Farben, Faltung, Emotion.
»Es ist der Blick der zweiten und dritten Generation, der sich hier entfaltet«, sagt Direktorin Anja Siegemund. »Denn wie prägend die Auswirkungen der Schoa auch auf die Nachkommen der Überlebenden sind, ist in der Gesellschaft weniger bekannt.«
Das will das Centrum Judaicum ändern. Den Nachgeborenen und ihrer Familiengeschichte als Quelle der Kreativität wolle man sich künftig verstärkt widmen, sagt Siegemund. Die Ausstellung ist da erst der Anfang.