»Ich war schlichtweg platt, als ich plötzlich das alte Praxisschild meines Kinderarztes sah«, sagt Till Söling. Da führt er die Enkel von Alfred Heimann durch Wuppertal, zeigt ihnen Alte und Neue Synagoge, besucht mit ihnen Gräber ihrer Angehörigen auf dem jüdischen Friedhof und das Haus, in dem ihr Großvater seine Ordination hatte. Und was sehen sie? Das alte ausgeblichene Praxisschild. Gastgeber und Gäste können es kaum fassen. »Ich kenne das Haus ja seit Langem, und plötzlich sehe ich das alte Schild wieder. Da muss jemand ausgezogen sein und sein Schild mitgenommen haben«, erzählt Söling. »Darunter hing dann noch das alte.« Anders kann er sich das Wiederauftauchen nicht erklären.
Überraschung Auf dem Steinschild lassen sich noch die Schriftzüge »Dr. med., Kind und Mittwoch« ablesen. Eine Arztpraxis gibt es in der Sophienstraße 8 nicht mehr, nachdem die jüdische Familie Heimann 1938 vor den Nazis zunächst nach Holland geflüchtet war. Dass sie 1940 kurz vor der Besetzung durch die deutsche Wehrmacht auch noch das letzte Flüchtlingsschiff in die Vereinigten Staaten von Amerika besteigen konnten, war ebenfalls ein Zufall. Eigentlich war es nur Holländern vorbehalten, sie schlüpften einfach so durch. Alfred Heimann ließ sich in New York nieder, nachdem der in Wuppertal anerkannte und mit Chauffeur und Wagen versorgte Arzt erneut Prüfungen abgelegt hatte.
Verbundenheit Till Söling weiß das alles ganz genau. Denn die Verbindung seiner Familie zu dem jüdischen Arzt, dessen Söhnen und inzwischen Enkelkindern blieb immer bestehen. 1938 hatte der Arzt dem kleinen Till das Impfzeugnis ausgeschrieben. 1956 gratulierte Heimann Till und Lissy Söling zur Hochzeit. Der jüngere Sohn Heimanns kam als Soldat nach Deutschland und wurde später der hochangesehene Chefjustiziar von General Electrics. Er verstarb früh. Die Töchter des älteren Sohnes ließen sich jetzt von dem 76-jährigen Söling die Heimatstadt ihres Großvaters zeigen.
Was mit dem Praxisschild geschehen soll, ist noch nicht klar. Till Söling schrieb dem Sohn Heimanns und schlug ihm vor, den Hausbesitzer zu bitten, die Tafel hängen zu lassen. Heimann selbst könnte dann eine Plakette stiften, die die Bewandtnis der alten Tafel erklärt. Oder er solle sich das Schild aushändigen lassen. Noch ist der Brief unterwegs. Eine Lösung wird Till Söling mit Sicherheit finden, dafür sind die Bande zu der Familie seines Kinderarztes, der oft bei seinen Eltern vor der SA Zuflucht fand, zu eng.