Es war ein Akt der Menschlichkeit inmitten des Grauens: Nach der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 entschloss sich die Regierung Großbritanniens zum Handeln. Mehr als 10.000 jüdische Kinder und Jugendliche aus Deutschland durften auf Drängen der Briten das nationalsozialistische Deutschland verlassen. Allerdings ohne ihre Eltern – nur allein auf sich gestellt und auf die Hilfe fremder Menschen angewiesen. Für viele Kinder wurde es zu einem Abschied von ihrer Familie – für immer.
Lilly Maier, die in München geboren wurde und am Lehrstuhl für Jüdische Geschichte und Kultur der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) studierte, befragte speziell Überlebende der damaligen Kindertransporte in den USA und wurde für ihre Arbeit mit dem »Forscherpreis 2014 für exzellente Studierende« der LMU ausgezeichnet.
Recherche Das Ergebnis ihrer Recherchen stellte Maier bei einer Veranstaltung im Kulturzentrum Gasteig vor. Die Veranstaltung, die vom Kulturzentrum der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern und der Volkshochschule München organisiert wurde, ist Teil der Reihe zum Thema »Flucht – Asyl – Migration: die historische Erfahrung«.
In der ersten Reihe saß der 92-jährige Paul Chajet. Er war eines der Kinder, die durch die Transporte die Schoa überlebt haben. Chajet hatte ein abgegriffenes, verblichenes Schriftstück mitgebracht, das er bis heute wie einen Schatz hütet – das »Certificate of Registration«, einen Ausweis, der mit Einträgen und Stempeln seine lebensrettende Reise widerspiegelt.
Die Historikerin Lilly Maier machte in ihrem Vortrag klar: »Die Geschichte war mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs noch nicht vorbei, die Rettung blieb für die jüdischen Flüchtlingskinder nicht ohne Folgen.« Ganz im Gegenteil: Die zwangsweise Trennung von den Eltern und die Entwurzelung aus dem gewohnten Leben hätten tiefe emotionale Spuren hinterlassen und seien bis heute sehr stark im Leben der Überlebenden präsent, berichtete Maier.
Israel Erkennbar sei dies zum Beispiel daran, dass sich die teilweise über 90 Jahre alten Menschen noch immer als »die Kinder« bezeichnen würden. Maier zufolge blieb etwa die Hälfte der 10.000 Kinder, die nicht immer ein »süßes« Leben genossen, sondern auch als Arbeitskräfte missbraucht wurden, nach dem Krieg in Großbritannien. Andere entschieden sich für ein Leben in den USA oder im neu gegründeten Israel.
Trotz der Traumata, die sie durchleben mussten, seien viele von den Kindern in ihren späteren Berufen überdurchschnittlich erfolgreich gewesen, stellte die Forscherin fest.