Die Mimik hat meine Gedanken verraten. Solch ein nachdenkliches Gesicht mit starrem Blick, das wohl jeder beim Kopfrechnen macht, hat Heinz Rothholz in den vergangenen sieben Jahrzehnten wahrscheinlich oft erlebt. Das ist nun einmal so, wenn jemand erfährt, dass ein Berliner Jude am 25. Februar 1946 geboren wurde: Man fängt an zu rechnen.
Neun Monate vor seiner Geburt – das ist im Mai 1945 gewesen, löst er für mich die Subtraktion. Offenbar, so mein nächster Gedanke, hatten es seine Eltern verstanden, die Befreiung aus einem Versteck am Stadtrand von Berlin angemessen zu feiern. Und Heinz, der nun 70 wird, ist das Produkt dieser Feier – ein Kind der Freiheit.
barmizwa Im Büro hinter seinem Juweliergeschäft in der Schönhauser Allee hängt ein Foto, das den Knirps im Kreis von Geschwistern und Freunden bei einer Chanukkafeier zeigt. Das muss Mitte der 50er-Jahre gewesen sein, erinnert er sich, als die Synagoge in der Ost-Berliner Rykestraße noch gut besucht war. Und das nicht nur zu den Feiertagen. Als Heinz dann im Jahr 1959 dort seine Barmizwa feierte, waren viele Beter schon in den Westteil Berlins umgezogen.
Max Rothholz aber, Heinz’ Vater, sah keine Veranlassung, das zu tun. Einst hatte er als Zwangsarbeiter gelernt, große Fahrzeugbatterien zu bauen, und nun in der DDR ließ sich damit Geld verdienen. Und wenn man auch noch Autos reparieren konnte, erst recht.
Sein Sohn trug weder das rote Tuch der Thälmannpioniere noch das blaue Hemd der FDJ, und selbst die Lieblingslehrerin konnte ihn nicht zur Jugendweihe überreden. Aber ein Dissident sei er nicht gewesen, sagt Heinz Rothholz.
Ost-berlin Das sah das Regime anders. Er stehe dem Sozialismus feindselig gegenüber, steht in seiner Stasi-Akte, und dass er die DDR als »Gefängnisstaat« bezeichne. Außerdem habe er vermutlich »Kontakt zu ausländischen Diensten«. Damit war wohl die Mischpoche aus Israel gemeint, die beim Besuch der Verwandtschaft in West-Berlin auch mal einen Abstecher zu den Rothholz’ im Osten machte. In der ideologischen Vorstellungswelt eines Stasi-Mannes konnten das nur »zionistische Agenten« sein.
Vom Vater hat Heinz den Sinn fürs Geschäft geerbt, und als es mit der DDR zu Ende ging, war er Inhaber eines Spielwarenladens. Das im Realsozialismus gut hinzubekommen, war eines jener Kunststücke, deren Heinz später noch so viele gelingen sollten.
Zuvor aber ereignete sich eine folgenreiche Begegnung. Anfang 1990 war das. Heinz Rothholz gründete im Pankower Rathaus gerade den Ost-Berliner Einzelhandelsverband, als ihm Nils Busch-Petersen über den Weg lief. Der Runde Tisch hatte ihn als Bezirksbürgermeister eingesetzt.
Nach der nächsten Wahl war Busch-Petersen kein Bürgermeister mehr, dafür aber der Vorsitzende des Einzelhandelsverbandes. Das ist er noch immer – inzwischen für Berlin und Brandenburg –, und sein Stellvertreter ist Heinz Rothholz. Der fühlt sich wohl in der zweiten Reihe – dort, wo man nicht im Fokus steht, trotzdem aber Überblick und Einfluss hat.
festival So wie auch beim Lewandowski-Festival, das die beiden sich während eines Abendessens mit Klaus Wowereit ausgedacht haben, als der noch Regierender Bürgermeister war. Seither holen sie alljährlich Synagogen-Chöre aus der ganzen Welt nach Berlin. Busch-Petersen ist Festivaldirektor, und wie beim Förderverein des Jüdischen Krankenhauses zieht Heinz Rothholz als Stellvertreter die Fäden.
In der Synagoge Pestalozzistraße ist er Gabbai, doch auf dem Platz rechts von der Bima sucht man ihn während der Gottesdienste vergebens. Wenn aber einmal wieder Geld gebraucht wird, für den Chor oder die Restkosten der aufwendigen Renovierung, kennt Heinz die richtigen Leute.
Er spricht nicht gern über all das, mag es aber, wenn andere das tun. So viel Eitelkeit leistet er sich dann schon. Es muss ja nicht unbedingt zum Jahrestag seiner Geburt sein. Den nämlich hielt schon sein Vater für eine »gojische Erfindung«. Jeder Morgen, an dem er die Augen öffnen dürfe, sei ein Geburtstag, hatte Max Rothholz gesagt, und Heinz sagt das auch. Möge er sie noch oft öffnen – bis 120.