Hoher Besuch im Kindergarten des Frankfurter Gemeindezentrums: Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft (CSU), hatte sein Kommen angekündigt, um sich persönlich über das neue Ernährungskonzept in der Einrichtung zu informieren. Und weil sein Besuch auf einen Freitag fiel, wurde er natürlich dazu eingeladen, gemeinsam mit den Kindern Kabbalat Schabbat zu feiern. Ein wenig musste der Minister seine Beine einziehen, als er sich zu den Kita-Kindern an den kleinen Tisch gesellte, auf dem die beiden Kerzen, die Challot und der Kelch schon bereitstanden. Neben ihm nahm Zentralratspräsident Josef Schuster Platz.
Dass in der ganzen Aufregung ein wenig Traubensaft für den Kiddusch verschüttet wurde, nahmen alle gelassen. Denn wann spricht man schon einmal vor einem Regierungsmitglied und einem Präsidenten die Brachot zu Schabbat?
reform Vor der Schabbatfeier hatte sich Christian Schmidt ausführlich über die Reform der Verpflegung in den Kindertagestätten der Frankfurter Gemeinde informiert. Schließlich handelt es sich dabei um ein »Pilotprojekt, das es in dieser Form in ganz Deutschland nicht noch einmal gibt«, so die Ernährungswissenschaftlerin Sylvia Becker-Pröbstel. Als Expertin hatte sie die Verantwortlichen während der Umstellung fachlich beraten.
Die besondere Herausforderung: In einer jüdischen Einrichtung lassen sich die von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) entwickelten Richtlinien für eine gesunde Verpflegung in Kindertageseinrichtungen nicht so einfach umsetzen – gilt es doch, gleichzeitig die Kaschrut einzuhalten. »Eine Aufgabe, die zu lösen schwierig, aber nicht unmöglich war«, erläuterte Marc Grünbaum, der im Gemeindevorstand für die frühkindliche Bildung zuständig ist.
Vor allem die »Platzierung der vielen Milchprodukte«, die die Richtlinien der DGE vorsehen, war nicht leicht umzusetzen; schließlich muss Milchiges von Fleischigem strikt getrennt bleiben. Wenn also mittags im Kindergarten Putenschnitzel serviert wird, kann es beim nachmittäglichen Snack keinen Trinkjoghurt und keine Quarkspeise geben, weil der Abstand zwischen beiden Mahlzeiten zu kurz wäre. Die Lösung: Fleisch kommt nur noch montags und mittwochs auf den Teller, dienstags und freitags wird hingegen ein vegetarisches Mittagessen angeboten, und Donnerstag ist Fischtag.
kaschrut In all diesen Fragen konnten sich Sylvia Becker-Pröbstel und Caterer Sohar Gur auf Rabbiner Avichai Apels fachkundigen Rat verlassen. So wurde unter anderem auch neues Geschirr angeschafft, das natürlich erst gekaschert werden musste, bevor es zum Einsatz kam. Die neuen Schüsseln ermöglichen es, dass sich die Kleinen ihr Essen selbst auftun oder anderen die Mahlzeit servieren: »Uns war es wichtig, dass die Kinder selbstbestimmt essen, sowohl was die Auswahl der Speisen als auch die Menge angeht«, erklärt Sylvia Becker-Pröbstel.
Als die Kita-Leitung vor zwei Jahren mit der Neukonzeption der Verpflegung begann, informierte sie Mitarbeiter und Angehörige und bezog mit einer Umfrage unter den Hortkindern zwischen fünf und sieben Jahren auch die eigentliche »Zielgruppe« mit ein. »Ich war beeindruckt«, erzählt Kita-Leiterin Elvira Güver, »denn nach nur wenigen Tagen hatten fast alle der rund 100 Kinder die ausgefüllten Fragebögen bei mir abgegeben.« Die Kinder, das klang beim Gespräch der Verantwortlichen durch, waren ohnehin das geringste Problem bei der Umstellung. Widerstand regte sich vielmehr unter den Müttern. »Viele hatten Angst, dass ihre Kleinen künftig verhungern würden«, berichtet Elvira Güver.
Eine, wie sich herausstellen sollte, vollkommen unbegründete Befürchtung. Stattdessen wird immer wieder gemunkelt, dass die sonst so wählerischen Sprösslinge im Kindergarten mit Begeisterung genau das verspeisen, was sie daheim verschmähen: Gemüse zum Beispiel oder Vollkornnudeln, Lebensmittel, die jetzt noch häufiger auf dem Kita-Speiseplan stehen als früher.
leuchtturm »Bieten wir Rohkost als Fingerfood an, stürzen sich die Kinder regelrecht darauf«, hat Becker-Pröbstel beobachtet. Inzwischen haben sich auch die Eltern wieder beruhigt und unterstützen das Projekt mit einer wöchentlich gespendeten Gemüsekiste.
Bundesminister Schmidt lobte die Kinderbetreuung im Frankfurter Gemeindezentrum Westend als »Leuchtturm-Einrichtung« und verwies gleichzeitig darauf, dass der Staat nicht befugt sei, den Bürgern vorzuschreiben, was sie zu essen hätten, dass er aber Orientierung geben müsse, wie eine gesunde Ernährung auszusehen hat. Täglich treffe jeder Mensch 200 Essensentscheidungen, das reiche von der zweiten Tasse Kaffee über das Stück Kuchen und den Nachschlag bei Kartoffeln und Bratensauce bis zum abendlichen Glas Wein oder Bier.
Viele Kinder würden sich bei ihrer Ernährung, wenn sie denn wählen dürften, auf die »vier P« beschränken: Pizza, Pommes, Pasta und Pfannkuchen. Deshalb sei es wichtig, sie schon früh mit gesundem Essen vertraut zu machen: »Dieses Wissen tragen sie dann auch in die Familien hinein.«
ritual Essen, darin waren sich alle einig, nimmt in der jüdischen Kultur und Lebensführung einen wichtigen Platz ein. »Wir sind eine kulinarische Religion«, meinte Rabbiner Apel. » Und koscheres Essen ist Teil unserer jüdischen Identität.« Und damit die »vier P« zwischen all dem gesunden und vernünftigen Essen auch einmal eine Chance bekommen, wurde im Hort ein neues Ritual eingeführt: Alle drei bis vier Wochen gibt es einen Tag, an dem ausschließlich die Kinder bestimmen dürfen, was mittags auf den Tisch kommt.