Charlotte Knobloch, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern (IKG), kann sich bestätigt sehen, auch wenn ihr das alles andere als gefällt. Seit Jahren warnt sie vor dramatischen Entwicklungen am rechten politischen Rand, vor wieder aufflammendem Antisemitismus und einem zunehmenden Gewaltpotenzial. Der Anschlag in Halle an Jom Kippur, dem höchsten jüdischen Feiertag, hat diese Befürchtungen zur Wirklichkeit werden lassen.
In einer ersten Reaktion auf den Terrorakt hatte die IKG-Präsidentin bereits auf die neue Dimension hingewiesen. »Wenn ein schwer bewaffneter Terrorist auf offener Straße mordet und wenn ein Zentrum jüdischen Lebens in einer Stadt am höchsten jüdischen Feiertag mit Schusswaffen und Sprengsätzen angegriffen wird, dann ist das ein Angriff auf das Zusammenleben in unserem Land«, erklärte sie wenige Stunden nach dem Anschlag.
Menschenkette Zwei Tage später offenbarte ihr ein Blick aus dem Fenster des Gemeindezentrums auf den Jakobsplatz, dass dies auch viele Münchner so empfanden. Hunderte Menschen, Hand in Hand, Seite an Seite, bildeten eine Kette als Zeichen gegen Judenhass. Charlotte Knobloch bezeichnete sie als »Kette der Menschlichkeit.«
Hunderte Menschen, Hand in Hand, Seite an Seite, setzten ein Zeichen gegen Judenhass.
Zu dieser Art von Solidarität hatte Regionalbischöfin Susanne Breit-Keßler aufgerufen. Sie bezeichnete den erstarkten Antisemitismus als »Schande für unsere Gesellschaft«. Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm sprach im Zusammenhang mit der Menschenkette von der Verpflichtung, auch im Alltag für Menschenwürde und Demokratie einzutreten.
Landtagspräsidentin Ilse Aigner, Teil der Solidaritätskette, dürfte der IKG-Präsidentin und allen Juden aus der Seele gesprochen haben, als sie feststellte: »Es ist Zeit für ein neues Versprechen.« Sie bezog sich dabei auf die ihrer Meinung nach bestehende Notwendigkeit, Antisemitismus und Extremismus entschiedener als bisher zu bekämpfen.
Versprechen Ein Versprechen gab auch Justizminister Georg Eisenreich, der als Vertreter des Bayerischen Ministerpräsidenten an der »Kette der Menschlichkeit« teilnahm. Er versicherte, dass die Bayerische Staatsregierung alles in ihrer Macht Stehende tun werde, um jüdische Bürgerinnen und Bürger zu schützen.
Charlotte Knobloch, die sich ausdrücklich für den bisher wirksamen und verlässlichen Schutz des Gemeindezentrums und der jüdischen Einrichtungen durch die Polizei bedankte, lobte Oberbürgermeister Dieter Reiter, der am Tag des Attentats gemeinsam mit Kommunalreferentin Kristina Frank spontan an dem Gottesdienst zu Jom Kippur teilnahm.
»Sein Besuch setzte an diesem furchtbaren Tag das richtige Zeichen. Seine Überzeugung, dass jüdische Menschen in diesem Land weiterhin eine Heimat haben werden, ist auch meine Hoffnung«, sagte die IKG-Präsidentin. Zu ihrer Hoffnung zählt ferner, dass dieser gezielte Terrorakt gegen Juden mitten in Deutschland ein Ende der Sonntagsreden einläutet. Klare Ansagen aus den politischen Führungsetagen unmittelbar nach dem mörderischen Attentat in Halle bestärken sie darin.
Bayerns Innenminister Joachim Herrmann war einer der ersten Spitzenpolitiker, der nach dem Attentat die mögliche geistige Brandstifterfunktion der AfD ansprach.
Bayerns Innenminister Joachim Herrmann war einer der ersten Spitzenpolitiker, der nach dem Attentat die mögliche geistige Brandstifterfunktion der AfD ansprach, andere Politiker äußerten sich ähnlich. Für Charlotte Knobloch ist der Terrorakt nur die logische Konsequenz politischer Entwicklungen, die mit der AfD verbunden sind.
»Mich würde interessieren«, fragt sie, »was die AfD zu solchen Exzessen sagt, für die sie mit ihrer Unkultur von Hass und Aufhetzung den Boden bereitet hat.« In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung hat sich die IKG-Präsidentin ebenfalls zur Rolle der AfD geäußert. »Antisemitismus war nie weg, aber die AfD hat diesen Hass auf Juden neu befeuert, und sie hat auch den Hass auf Fremde neu befeuert«, sagte sie.
Schutz Sie sprach darüber hinaus einen weiteren Aspekt des Attentats von Halle an. Es mache vor allem deutlich, wie schnell aus den Worten von Extremisten Taten werden können, erklärte sie und wies auf die gemeinsame Pflicht von Staat und Gesellschaft hin, gerade jetzt die weitere Ausbreitung von Extremismus zu stoppen, um noch Schlimmeres zu verhindern.
Mit Blick auf die Menschenkette rings um die Synagoge ging Charlotte Knobloch auch auf die Bedeutung ein, die Münchner Bürgerinnen und Bürger für die Sicherheit der Juden darstellen. Diejenigen, für die es selbstverständlich und normal sei, wenn jüdische Münchner sichtbar ihr Judentum lebten, seien der wichtigste Schutz. »Sie sind es«, betonte Knobloch, »die unsere Stadt für uns sicher machen – nicht nur an diesem Abend.«