Mit Beginn ihrer Tätigkeit als Leiterin des NS-Dokumentationszentrums im Mai 2018 erschien in der »Süddeutschen Zeitung« unter der Überschrift »Holocaust im Hologramm« ein Interview mit Mirjam Zadoff. Auf die Frage nach zeitgemäßen Formen des Erinnerns und der Vermittlung von Geschichte entgegnete sie damals: »Wir müssen Formate und eine Ästhetik finden, die die jungen Leute ansprechen, um die Distanz zur Geschichte zu überbrücken. Das heißt, offen für Entwicklungen in den sozialen Medien zu sein.«
Als positives Beispiel nannte sie das Holocaust-Museum in Illinois. In dessen Ausstellung gebe es ein Video, in dem eine Schoa-Überlebende erzählt. Am Ende erklärt sie: »Ich habe euch noch so vieles zu sagen.« Dann verschwindet das Video, »und die Frau sitzt auf der Bühne auf einem Stuhl. Als Hologramm«, berichtete Zadoff.
116 cameras Diese neue Technik verfolgt das von Steven Spielberg gegründete »Shoah Foundation Institute for Visual History and Education« an der Universität von Südkalifornien in Los Angeles seit den 90er-Jahren. Der 15-minütige Dokumentarfilm 116 Cameras von Davina Pardo, der es vermutlich dank Spielbergs Namen auf die Shortlist für eine Oscar-Nominierung schaffte, führt diese Technik am Beispiel der Auschwitz-Überlebenden Eva Schloss aus. Als Beitrag zu den 10. Jüdischen Filmtagen wurde die Doku vor Kurzem im NS-Dokumentationszentrum gezeigt. Anschließend gab es eine Diskussion unter Leitung von Mirjam Zadoff, die die neue Technik offensichtlich fasziniert. Nicht ganz so enthusiastisch zeigten sich dagegen die mit am Tisch sitzenden Experten, die selbst mit den neuen Medien arbeiten.
Volker Skriebeleit etwa, Leiter der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg, wies darauf hin, dass man bei der Handhabung digitaler Strategien noch immer am Anfang stehe, sie aber ernst nehmen müsse. Ein Projekt wie 116 Cameras findet er »großartig«, gerade weil der Film auch die Grenzen von Hologrammen deutlich mache. Das Verschwinden der Ersten Generation sei nicht aufzuhalten, und dieser Umstand werde definitiv Auswirkungen auf die Erinnerungskultur nachfolgender Generationen haben. Für ihn belegen das die Bruchstellen des Films in Form von alten Familienfotos mit ihrer unersetzlichen Authentizität, zu der auch die Sepia-Optik beitrage. Die Aura und Würde, die ein Mensch ausstrahle, sei durch nichts zu ersetzen.
memory loops Die Künstlerin Michaela Mélian, die mit ihrem preisgekrönten Audiokunstprojekt Memory Loops 2010 ein narratives Projekt in Form von Zeitzeugenaussagen am Telefon realisierte, äußerte die Befürchtung, dass stereotype Fragen und Antworten unter der Kamerakuppel Spekulation und Manipulation Tür und Tor öffnen könnten. Es seien Fragen denkbar, die die Maschine überfordern. Dann würde das Zeitzeugen-Hologramm nichts anderes zu sagen wissen als: »Ich erinnere mich nicht.«
Armand Presser, Sprecher und Berater für das BR-Projekt »Die Quellen sprechen«, führte ergänzend aus, dass es schon heute Programme für Sprachsynthese gebe. Es sei nur eine Frage der Zeit, bis mit einem Grundbestand von gesprochenem Text beliebige Sprachaufnahmen zusammengestellt werden könnten: »Spielberg und sein Team denken innovativ und verantwortungsvoll.« Missbrauch an anderer Stelle sei jedoch nicht komplett auszuschließen.
Verena Nägel, die an der Freien Universität Berlin das »Visual History Archive« aufbaut, erinnerte an die einstigen Debatten über die Frage, ob man den Holocaust für ein Hollywood-Drehbuch verarbeiten dürfe. Inzwischen sei die Kritik an dieser Form der Geschichtsvermittlung jedoch fast völlig verstummt.