Juden mit einer eigenen Gruppe in der AfD – diese Vorstellung hätte Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern (IKG) und eine Instanz jüdischen Lebens in Deutschland, noch vor kurzer Zeit als abwegig bezeichnet. Seit Sonntag jedoch ist sie politische Realität.
Für die Frau an der Spitze der zweitgrößten jüdischen Gemeinde in Deutschland gibt es keinen Interpretationsspielraum. »Die AfD«, erklärt sie, »hat seit ihrer Gründung entscheidend dazu beigetragen, die gesellschaftliche Debatte in unserem Land zu vergiften und antisemitische Ressentiments wieder salonfähig zu machen.«
rechtspopulisten Wie jüdische Menschen ihre Mitgliedschaft in einer Partei wie der AfD vor sich selbst rechtfertigen können, ist für Knobloch ein Rätsel. Sie nennt in diesem Zusammenhang deren anhaltende Verharmlosung der Zeit des Nationalsozialismus, die Funktionäre der Rechtspopulisten mit Begriffen wie »Vogelschiss« und »Denkmal der Schande« verbinden würden.
Das, so die IKG-Präsidentin, sei der Jargon von Nazis. An der grundsätzlichen Ausrichtung der Partei ändere auch die Mitgliedschaft von Juden nichts. Eines jedenfalls ist für Knobloch nicht diskutierbar: »Wer sich in unserem Land für Freiheit und Demokratie einsetzt, der kann diese Partei nicht unterstützen.«
In einem Interview in der aktuellen Ausgabe des »Spiegel« sagt Charlotte Knobloch dazu: »So wie ein Mensch jüdische Freunde haben und trotzdem ein Antisemit sein kann, so sind jüdische Mitglieder noch längst keine Gewähr dafür, dass eine Partei nicht antisemitische Tendenzen aufweist.« Die schiere Anwesenheit von Juden sei dafür zumindest nicht ausreichend, und eine Gruppe wie die sogenannten Juden in der AfD sei kein Beweis für die Abwesenheit von Antisemitismus.
erklärung In einer Grundsatzerklärung der jüdischen Bundesvereinigung innerhalb der AfD werden vor allem zwei Auslöser für die Gründung genannt: eine »unkontrollierte Masseneinwanderung« junger Männer aus dem »islamischen Kulturkreis« mit einer antisemitischen Sozialisation sowie die Zerstörung der traditionellen, monogamen Familie durch »Gender-Mainstreaming« und »Frühsexualisierung«.
Es wird zwar eingeräumt, dass sich Antisemiten wie Wolfgang Gedeon in der AfD befänden, deren Einfluss werde aber maßlos überschätzt. Die »Dresdner Rede« von Björn Hocke und das »Vogelschiss«-Zitat von Alexander Gauland seien lediglich als »sprachlicher Missgriff« zu verstehen, für den sich beide Politiker bereits entschuldigt hätten.
radikalisierung Mit derartigen Erklärungen gibt sich IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch nicht zufrieden. Sie spricht von einer Radikalisierung des ohnehin bestehenden Antisemitismus: »Früher war Antisemitismus die Ablehnung einer gewissen Bevölkerungsgruppe. Heute ist es schlicht und einfach Judenhass.«
Bei der Bekämpfung von Antisemitismus erkennt Knobloch deutliche Defizite. »Es wird nicht genügend getan«, erklärt sie. Politik, Sicherheitsbehörden und Bildungseinrichtungen sollten den Kampf gegen Judenhass stärker in den Fokus nehmen. Das geschehe immer noch viel zu wenig, gerade auch in Hinblick auf die Geschichte Deutschlands.
flüchtlinge Allein den Flüchtlingen das Problem der Judenfeindlichkeit zuzuschreiben, sei eine zu einfache Begründung. »Das Antisemitismusproblem ist nicht entstanden, weil Menschen aus anderen Kulturkreisen zu uns kommen. Das wäre eine arg verkürzte Darstellung«, resümiert die IKG-Präsidentin.
Charlotte Knobloch lässt keinen Zweifel daran, dass es richtig gewesen sei, im September 2015 die flüchtenden Menschen aufzunehmen, die im Budapester Bahnhof unter furchtbaren Bedingungen leben mussten: »Wir müssen in erster Linie denjenigen helfen, die durch Kriege ihre Heimat verlassen müssen. Wenn ich die schrecklichen Bilder aus Syrien sehe, dann dürfen wir keinen Moment zögern.«
Unabdingbar ist ihrer Ansicht nach aber ein Einwanderungsgesetz, um entscheiden zu können, »wer zu uns passt, wer integrationsfähig ist«. In Frankreich finde nach den schrecklichen Mordanschlägen auf Juden ein regelrechter Exodus nach Israel statt. Diese Gefahr besteht nach Ansicht von Charlotte Knobloch auch in Deutschland. »Es kommen Gemeindemitglieder zu mir, die Angst haben. Das ist teilweise irrational, aber teilweise auch verständlich. Ich versuche, ihnen trotz allem Mut zu machen«, beschreibt die IKG-Präsidentin ihre eigenen Erfahrungen.
demokraten Bedrückt zeigt sich Charlotte Knobloch darüber, dass die Menschen heute nicht in Massen auf die Straßen gehen und demonstrieren würden. Sie zieht dabei Parallelen zwischen der Weimarer Republik und der aktuellen Entwicklung. Weimar sei deshalb zusammengebrochen, weil sich die Demokraten, die die Stütze des Systems sein sollten, »weggeduckt« hätten.
Die Äußerungen, die AfD-Politiker ungestraft von sich geben könnten, würden sie stark an den Aufstieg der NSDAP erinnern. Umso schmerzlicher sei es deshalb, dass die demokratischen Parteien keinen gemeinsamen Konsens in dieser Frage finden würden.