Am 12. Februar dieses Jahres endete für die meisten Duisburger ein Albtraum, der im Sommer 2010 begonnen hatte. Damals starben bei der »Loveparade« auf einem alten Industriegelände in der Nähe des Hauptbahnhofs 21 junge Menschen. Das Jugendevent, schon damals längst ein abgetakeltes Spektakel, sollte Duisburg in dem Jahr, in dem das Ruhrgebiet Kulturhauptstadt Europas war, als eine fröhliche, bunte Partymetropole präsentieren.
Danach machte die Stadt Negativschlagzeilen mit einem Mann an der Spitze, der so tat, als ob er weder mit der Katastrophe noch mit den Toten etwas zu tun hätte: Adolf Sauerland. Der Christdemokrat weigerte sich, Verantwortung zu übernehmen und zurückzutreten. Dafür zog sich den Unmut seiner Mitbürger zu. Wenn er auftrat, wurde er ausgebuht, mit Tomatenketchup bekleckert, und eine Bürgerinitiative über Parteigrenzen hinweg sammelte Unterschriften für seine Abwahl.
Am 12. Februar war es dann so weit: 129.333 Wähler hatten mit ihrer Stimme Sauerland aus dem Amt gejagt. Doch wie es danach weitergehen sollte, darüber hatte niemand nachgedacht. Die Initiative fiel einen Tag nach dem Abstimmungssieg auseinander. Außer dem Willen, Adolf Sauerland aus dem Amt zu jagen, gab es nur wenig Verbindendes.
Bewerber Nun gibt es einen ersten Kandidaten für das Amt des Oberbürgermeisters von Duisburg: Michael Rubinstein. Der Geschäftsführer der jüdischen Gemeinde erklärte, er stehe als Kandidat für diesen Posten zur Verfügung. Rubinstein ist in keiner Partei und gehörte auch nicht zu den Aktivisten der Abwahlinitiative. »Man kann nicht immer nur meckern«, sagt Rubinstein, »man muss auch bereit sein, Verantwortung zu übernehmen. Ich will mich für Duisburg engagieren. Ich glaube an diese Stadt.«
Der 39-Jährige sitzt in seinem Büro im futuristischem Gemeindezentrum am Innenhafen. Hier ist Duisburg schön, hier ist es modern, grenzt ein pittoreskes Altbauviertel an das mondäne Büroquartier zwischen den Grachten des ehemaligen Hafengeländes.
Doch in Duisburg, das weiß auch Rubinstein, ist der Innenhafen die Ausnahme. Die Stadt ist seit Jahrzehnten pleite. Die Einwohnerzahl schrumpft: 1975 lebten fast 600.000 Menschen in Duisburg, jetzt ist es keine halbe Million mehr. Und die Statistiker prognostizieren, dass es 2020 nur noch 450.000 sein werden.
Duisburg hat die modernsten Stahlwerke Mitteleuropas, den größten Binnenhafen der Welt und ist trotzdem von Arbeitslosigkeit und Armut geprägt. Und das Elend ist in der Stadt, in der die Ruhr in den Rhein fließt, sichtbar. Es lässt sich nicht kaschieren: Stadtteile wie Bruckhausen sollen teilweise abgerissen werden, weil inzwischen jedes dritte Haus leer steht. In Duisburgs Nachbarstadt Düsseldorf explodieren die Mietpreise, es herrscht Wohnungsnot – doch ins nahe Duisburg zieht es trotzdem kaum jemanden.
Am deutlichsten wird die ganze Misere der Stadt an der Geschichte der Brachfläche, auf der die »Loveparade« stattfand. Denn sie ist eng mit dem Aufstieg und Fall des abgewählten CDU-Oberbürgermeisters Adolf Sauerland verbunden: Hier, neben dem Bahnhof, wollte die einstige SPD-Oberbürgermeisterin Bärbel Zieling ein gigantisches Einkaufszentrum errichten lassen – »Multicasa«.
Mammutprojekt CDU-Kandidat Sauerland gewann die Wahl gegen Zieling 2004 auch mit dem Versprechen, das Mammutprojekt zu stoppen. Was er auch tat. Nach seiner Planung sollte auf dem Gelände ein Wohn- und Büroquartier errichtet werden. Der Name: »Duisburger Freiheit«.
Die Rahmenplanung übernahm der britische Star-Architekt Norman Foster. Aber obwohl die Lage perfekt war, Hauptbahnhof und Autobahn nebenan und der Düsseldorfer Flughafen nur 15 Minuten entfernt lagen, gelang es nicht, Investoren für das Gelände zu finden. Nun wird sich dort ein gesichtsloser Möbelgroßmarkt ansiedeln und wohl noch ein paar Bürobauten entstehen.
Rubinstein sieht trotzdem eine Zukunft für Duisburg. »Ich glaube, ich kann Investoren für Duisburg begeistern. Es gibt viele Argumente für diese Stadt und sie hat eine Zukunft, sonst würde ich nicht antreten.« Doch er weiß auch, dass er, sollte er zum Oberbürgermeister gewählt werden, ebenfalls den Rotstift ansetzen und weiter sparen muss.
In einer Stadt, in der das Museum schließen muss, weil die Bausubstanz so marode ist, dass die Deckenplatten den Besuchern auf die Köpfe fallen könnten, und die sich finanziell kaum etwas leisten kann, ist das nur mit Konflikten zu bewerkstelligen: »Es wird schwer«, sagt Rubinstein. »Ich weiß das. Aber es gibt zum Sparen keine Alternative.«
Der Geschäftsführer der jüdischen Gemeinde setzt dabei auf Dialog, will mit den Bürgern kommunizieren, sie auch über das Internet an Entscheidungen beteiligen und so gemeinsam neue Wege des Sparens finden. »Wir geben Millionen für ein Theater aus – und sparen an den Jugendeinrichtungen und Schulen. Können wir uns das wirklich leisten?«
Chancenlos Auch wenn Rubinstein bislang der Einzige ist, der Interesse an einer Kandidatur bekundet hat, stehen die Chancen Rubinsteins nicht gut. Denn inzwischen ist klar, dass es keinen gemeinsamen parteiübergreifenden Kandidaten geben wird. Zwar hat die SPD die Abwahlinitiative gegen Sauerland massiv unterstützt und redet davon, einen überparteilichen Kandidaten aufstellen zu wollen.
Aber mit »überparteilich« meinen sie nicht parteilos, sondern die Kandidatur eines SPD-Mitglieds, das über die Parteigrenzen hinaus akzeptiert wird. Außerdem wittern sie erstmals seit Mitte der 90er-Jahre, als die Christdemokraten das Ruhrgebiet und die NRW-Großstädte eroberten und in Düsseldorf, Duisburg, Essen, Gelsenkirchen, Hamm, Köln und Mülheim den Oberbürgermeister stellten, wieder Morgenluft.
Die meisten Städte sind mittlerweile zurückerobert. Und mit Adolf Sauerland verschwand das vorletzte christdemokratische Stadtoberhaupt im Ruhrpott. Das soll – vermutlich im Juni – jetzt ein Sozialdemokrat werden. Nur, wer das sein wird, ist noch nicht klar.
Diese Frage ist für die SPD allerdings strategisch wichtig. Das weiß auch Michael Rubinstein: »Ich trete nur an, wenn ich eine breite Unterstützung bei den Parteien habe.« Dass die Union und auch viele muslimische Gruppen Zustimmung für seine Kandidatur signalisiert haben, reicht nicht: »Gegen SPD, Grüne und Linkspartei anzutreten, macht keinen Sinn.«