»Drückeberger« und »Schädling«. So habe sein Kamerad in der Truppe über »den« Juden geschimpft. Doch Julius Marx lässt sich nicht einschüchtern und berichtet umgehend seinem Vorgesetzen davon. Der Oberleutnant empfiehlt ihm, »diese Leute« nicht zu beachten und im Übrigen, sollte sich so etwas wiederholen, werde er Strafen verhängen. Das schreibt der junge Soldat des Deutschen Heeres im Dezember 1914 in sein Tagebuch. Fast 96 Jahre später, am vergangenen Sonntag, liest Salomon Korn daraus vor, um an Soldaten wie Marx, die im Ersten Weltkrieg für Deutschland kämpften und starben, zu erinnern.
Denn in diesen Eintragungen, so der Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, seien »paradigmatisch alle Vorurteile gegenüber jüdischen Soldaten zu sehen«. Korn blickt vom Podium aus in die Reihen im Ignatz-Bubis-Gemeindezentrum im Frankfurter Westend – in die Gesichter von hoch dekorierten Uniformierten, bärtigen Rabbinern und Männern, die Kippot tragen.
verdienste Dann setzt Korn erneut an, bei den Befreiungskriegen, mit denen 1813 auch die Geschichte jüdischer Soldaten in der deutschen Armee beginnt. Sie endet 1935. Bis zum Erlass der Nürnberger Gesetze, die die Juden auch vom Wehrdienst ausschlossen, hatten 96.000 jüdische Soldaten im Heer gedient, 35.000 von ihnen erhielten hohe Orden und Ehrenabzeichen wie das Eiserne Kreuz. Und 12.000 fielen in den Schlachten. Die, die heimkehrten, wurden beschuldigt, Verräter zu sein, den Dolchstoß mit ausgeführt zu haben, später wurden auch sie Verfolgte des NS-Terrors. Rückblickend, sagt Korn, sei dies »die Geschichte eines großen Irrtums«. Denn »Antisemiten sind nicht zu überzeugen«. Gleichwohl, und das müsse er betonen, habe er eine bedeutsame Zeremonie erlebt: »So was hat es bisher noch nicht gegeben.«
Denn eine gute Stunde zuvor hatte Rabbiner Menachem Halevi Klein die Kerze in dem Glaskasten angezündet, die auf dem alten, verwitterten Stein steht, und anschließend das Kaddisch-Gebet gesprochen. Im Gedenken an die 467 gefallenen jüdischen Soldaten, von denen 50 auf dem Jüdischen Friedhof bestattet sind. »Heinrich Auerbach«, ruft Werner Kröss vom österreichischen Bundesheer in die Stille, die über dem Jüdischen Friedhof liegt. »Leopold Feuerbach.« Wieder Stille. »Otto Max Heinebach.« Dann zucken die Lichtblitze der Fotografen auf, als Generäle und Stabschefs der Bundeswehr, der israelischen Armee und des amerikanischen Militärs gemeinsam Kränze an dem Ehrenmal niederlegen.
Vermächtnis Damit erfülle sich, sagt Christian Schmidt, ein Vermächtnis der jüdischen Soldaten, die dafür ihr Leben gelassen haben. Der Staatssekretär im Verteidigungsministerium spricht von tapferen Kämpfern »mit nationaler Überzeugung und einem Stück Pathos« und will damit den Bogen zur Bundeswehr spannen: »Die Gleichheit aller Soldaten – unabhängig von Herkunft, Religion und Geschlecht – ist heute verwirklicht.« Dass es damit aber noch nicht getan sei, die Integration der jüdischen Soldaten noch längst nicht am Ende stehe, das macht Gideon Römer-Hillebrecht nach der Rede von Salomon Korn auf dem Podium deutlich. »Sie gehörten nicht zur deutschen Gemeinschaft, auch nicht zur kaiserlichen Armee«, sagt der Stellvertretende Vorsitzende des Bundes jüdischer Soldaten und fügt hinzu: »Eigentlich änderte sich das erst seit der Bundeswehr.« Religionsfreiheit existiere, zweifelsohne. Sie werde in den Kasernen praktiziert: Koscheres Essen und Freistellung vom Dienst am Schabbat.
aufgabe Das bestätigt Hellmut Königshaus, Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages, in der Diskussion. Doch wie sei der zwischenmenschliche Umgang, ob es Diskriminierungen gebe? »Ja, die gibt es«, sagt Königshaus. »Aber die Zahl ist nicht sehr groß.« Gleichzeitig wolle man die seelsorgerische Betreuung verbessern, die in anderen Ländern eine lange Tradition hat. In der Bundeswehr gibt es bislang keine Militärrabbiner, in den USA schon seit der Verfassung. Bislang fungiert Hauptmann Michael Berger im Berliner Familienbetreuungszentrum als Ansprechpartner für alle Belange der mehr als 200 Juden, die bei Heer, Marine und Luftwaffe dienen.
Letztlich stelle sich perspektivisch aber eine größere Herausforderung, wie Römer-Hillebrecht sagt: »Sich dem Hass der Antisemiten gegen die westlichen Armeen zu stellen.« Diese »Weltverschwörungstheorie«, so sein Appell, gelte es genau zu beobachten und nicht zu verharmlosen. »Denn sie betrifft nicht nur Juden, sondern uns alle.«