Der Jüdische Jugendkalender 5691 trägt auf der Innenseite einen blauen Stempel, der das Buch als Eigentum der Religionsschule der Jüdischen Gemeinde Berlins kennzeichnet. Allerdings war diese Markierung jahrzehntelang überklebt. Wahrscheinlich seit 1943 weist ein roter Stempel auf den neuen Besitzer hin: Berliner Stadtbibliothek.
Allem Anschein nach kam es über die Pfandleihanstalt, in der Juden und jüdischen Institutionen geraubte Bücher kurzzeitig verwahrt wurden. Fein säuberlich wurde damals mit Bleistift erst eine mit dem Buchstaben »J« beginnende sogenannte Zugangsnummer hinzugefügt, dann wahrscheinlich nach Kriegsende in eine mit »G« beginnende Nummer geändert. Das »J« weist auf die Herkunft aus jüdischem Besitz hin, das »G« auf Geschenk.
Lesebuch So konnte Bibliotheks-Generaldirektorin Claudia Lux und ihr Expertenteam den Weg dieses Büchleins zurückverfolgen, das im Magazin der heutigen Zentral- und Landesbibliothek Berlin mit anderen »NS-verfolgungsbedingt entzogenen Büchern« aufgespürt wurde. Am Mittwoch vergangener Woche wurden diese 13 Stück gestohlene Literatur – neben dem Jugendkalender auch Sach- und Lesebücher – an die Jüdische Gemeinde zurückgegeben.
Bei diesem Anlass lobte Kulturstaatsminister Bernd Neumann dieses Beispiel der Herkunftssuche. Nach Jahrzehnten, in de-
nen zu wenig darin investiert worden sei und es eher eine defensive Haltung in den betreffenden Museen, Bibliotheken und Archiven gegeben habe, sei vor drei Jahren die Arbeitsstelle für Provenienzrecherche eingerichtet worden. Damit habe sich die Situation grundlegend geändert, 6.000 Kunstwerke und 1.500 Bücher hätten seitdem auf ihre Herkunft untersucht werden können. »Wir stehen mitten in der Arbeit«, sagte Neumann, »darum habe ich mich entschieden, die Förderung der Arbeitsstelle erst einmal bis 2013 fortzusetzen.«
Durch ein von dieser Einrichtung gefördertes Projekt erfolgte die Restitution der Literatur an die Berliner Gemeinde. Dabei sei nicht unbedingt ihr künstlerischer oder materieller Wert von Bedeutung, machte der Kulturstaatsminister deutlich: »Gerade die Alltäglichkeit dieser Bücher ist es, die uns an die schreckliche Realität der Judenverfolgung in der Nazidiktatur erinnert. Insbesondere deshalb sind solche Projekte heute und in Zukunft so wichtig.«
An der Übergabe nahmen auch der Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland, Stephan J. Kramer, und der Direktor des Centrum Judaicum, Hermann Simon, teil.
Die Gemeindevorsitzende Lala Süsskind sagte: »Diese Übergabe erinnert daran, dass das Unrecht auch nach so vielen Jahren nicht verjährt.« Für die Gemeinde sei dies ein außerordentlich positives Zeichen und eine Genugtuung. Süsskind kündigte an, dass der 128-seitige Jüdische Jugendkalender und die anderen Bücher demnächst in der Bibliothek im Gemeindehaus Fasanenstraße ausgestellt werden. »Das sind Sachen, die uns gehören. Und jetzt kommen sie dahin, wo sie hingehören. Das finde ich einfach herrlich.«