Dresden

Judentum für den Alltag

Warum sollte man Kippa tragen, warum die Feiertage nach der alten Tradition begehen? »Weil das Äußere das Innere beeinflusst«, so die Antwort von Doron Kornbluth. Der Bestsellerautor von Ratgebern wie Why be Jewish? vertritt die Meinung: Wer sich mit dem traditionellen Judentum befasst und jüdisch lebt, ist mit sich im Reinen. Und: Je mehr man sich mit dem Judentum beschäftigt, desto wichtiger wird es.

Kornbluths Botschaften trafen auf offene Ohren, denn diese Frage, wie man traditionelles Judentum heute in Deutschland leben kann, interessierte die 250 jungen Juden, die vom 6. bis 9. Juni zum »Grande Schabbaton« des Bundes traditioneller Juden in Deutschland (BtJ) nach Sachsen gekommen waren. Das dritte mehrtätige Seminar des BtJ, zu dem Studenten, Familien und junge Paare aus mehr als 30 Städten anreisten, fand nach Frankfurt und Würzburg diesmal in Radebeul bei Dresden statt.

Mitveranstalter waren die Organisationen Morasha Germany, Jewish Experience und »Die 3 Rabbiner«. Die Gastgeber hatten namhafte Referenten verpflichtet, neben Doron Kornbluth aus Israel trat auch Rabbi Shmuley Boteach auf, der mit seinen Büchern sowie Radio- und TV-Sendungen wohl einer der bekanntesten orthodoxen Rabbiner der Vereinigten Staaten ist. Darüber hinaus waren die »3 Rabbiner« Jaron Engelmayer aus Köln, Julian Chaim Soussan aus Frankfurt am Main und Avichai Apel aus Dortmund mit wichtigen Beiträgen dabei.

Um seine Zielgruppe zu erreichen, hatte der BtJ vor dem Grande Schabbaton abgefragt, welche Themen junge Juden in Deutschland interessieren. Heraus kam ein Themenpaket von »Judentum und Homosexualität« über »Armeedienstverweigerung in Israel« bis hin zu Beziehungsthemen und Kindererziehung. Ein Rahmenprogramm und Ausflüge boten Gelegenheit für Aktivitäten mit der Familie und für den Austausch untereinander. »Networking« und das Kennenlernen anderer Juden war eines der Hauptanliegen der meisten Seminarteilnehmer.

Mentoren Der Bund traditioneller Juden in Deutschland wurde 2012 mit dem Ziel gegründet, junge Leute für die Gemeindearbeit zu interessieren und sich aktiv ins jüdische Leben einzubringen. »Gerade in kleineren Gemeinden fehlt es an Mentoren, die der Jugend die Religion näherbringen. Diese Lücke wollen wir schließen«, erklärt BtJ-Geschäftsführerin Anna Segal. Inzwischen sind 15 Gemeinden dem BtJ angeschlossen, und der Bund soll weiter wachsen. Der BtJ sieht vor allem bei Zuwanderern aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion ein Interesse für traditionelles Judentum, gerade weil sie es im eigenen Elternhaus nicht kennengelernt haben.

Häufig erwacht bei den jungen Leuten das Interesse an der Religion, wenn sich Nachwuchs ankündigt und die werdenden Eltern sich überlegen müssen, ob und wie sie die jüdischen Traditionen an die nächste Generation weitergeben sollen. »Etwa die Hälfte unserer Teilnehmer stammt aus der ehemaligen Sowjetunion«, bestätigt Anna Segal, die selbst osteuropäische Wurzeln hat. »Allerdings geht es auch alteingesessenen Juden so, dass sie die Verbindung zur Tradition erst suchen müssen. Das hat sich ziemlich angeglichen«, meint die Geschäftsführerin des BtJ.

Selbstbewusstsein Das kann Schabbaton-Teilnehmerin Ada Sarwar bestätigen. »Zu Hause bin ich nicht mit der jüdischen Tradition groß geworden«, erklärt die gebürtige Israelin freimütig. Heute lebt die junge Frau, die als Sechsjährige nach Deutschland kam, »ganz selbstverständlich« das traditionelle Judentum. Handy und Fernsehgerät bleiben am Schabbat ausgeschaltet, die jüdischen Feiertage begehen die Zahnärztin aus Düsseldorf und ihr frisch angetrauter Ehemann in traditioneller Manier.

Ist das schwierig? »Das kommt auf die Ansprüche an«, sagt die 32-Jährige. »Wenn man die Traditionen zu Hause lebt, ist es nicht schwierig. Wenn man jeden Sonntag in einem anderen koscheren Restaurant essen möchte, dann wird es kompliziert.« Grundsätzlich sei es eine Frage des Selbstbewusstseins, ob man die Religion lebe oder nicht, meint Ada Sarwar. Die Düsseldorferin hat die Erfahrung gemacht, dass Nichtjuden in dieser Hinsicht oft weniger Berührungsängste haben als Juden. »Viele sind erstaunt, wenn sie sehen, wie selbstverständlich mein Mann und ich unsere Religion leben.«

Zu jüdischem Selbstbewusstsein mahnte auch Rabbi Boteach seine Zuhörer. Man solle mit Stolz die Kippa in der Öffentlichkeit tragen. »Doch viele haben Angst«, weiß Daniela Kalmar, die die Schabbaton-Veranstaltung organisierte. »Sie tragen auf der Straße lieber eine Mütze oder Kappe.«

Neonazi-Aufmarsch Dass die Befürchtungen nicht aus der Luft gegriffen sind, erwies sich am Schabbat, an dem in Dresden wieder einmal ein Neonazi-Aufmarsch stattfinden sollte. 1000 Rechtsextreme wollten in der sächsischen Landeshauptstadt marschieren. Am Ende kam nur etwa die Hälfte, und die Kundgebung wurde durch Hunderte Gegendemonstranten verhindert. Trotzdem hätte sich der BtJ gewünscht, die Polizei hätte ihn von der geplanten Neonazi-Veranstaltung in Kenntnis gesetzt. »Wir haben nur durch Zufall davon erfahren«, berichtet Daniela Kalmar. »Wirklich besorgt waren wir aber nicht, weil wir am Schabbat ohnehin alle Veranstaltungen im Hotel hatten.«

Die lockere Atmosphäre des Seminars und die humorvollen Beiträge von Doron Kornbluth und Rabbi Boteach konnten über das Gewicht der Sorgen und Fragen nicht hinwegtäuschen, die viele Juden plagen, die ein »normales« jüdisches Leben in Deutschland führen möchten. Soll man jüdisch heiraten oder nicht? Hat die Beziehung Zukunft, wenn sich ein orthodox-liberales Paar zusammenfindet? Wählt man für sein Kind eine jüdische Schule? Und wenn nicht: Wie macht man das mit den jüdischen Feiertagen – schickt man sein Kind dann zur Schule, oder lässt man es zu Hause?

»Ich finde es gut, dass man solche ganz praktischen Fragen in dieser Runde diskutieren kann. Man lernt nie aus, und es ist interessant zu erfahren, wie andere Menschen leben«, so das Fazit von Schabbaton-Teilnehmerin Ada Sarwar.

Michael Grünberg zog ein rundum positives Fazit: »Es war fantastisch. Es war ein Schabbaton in einer wunderbaren Atmosphäre«, freut sich der BtJ-Vorsitzende. Die Möglichkeiten des Hotels seien ausschlaggebend für die Wahl gewesen. »Die Familien und Kinder konnten sich ungezwungen auch im Freien aufhalten, und wir hatten einen Eruv.« So habe das Wochenende gänzlich nach dem Wunsch der Teilnehmer ausgerichtet werden können, und nichts verletzte die Halacha.

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