Seit mehreren Jahren sorgt der Vorfall für Diskussionen: Im November 2020 hatte der Rechtsextremist K. (der ganze Name ist der Redaktion bekannt) in Braunschweig nach einer Kundgebung seiner Partei Die Rechte mehrere Journalisten mit Schmähkritik überzogen. Es fielen Begriffe wie »Judenpresse«, »Feuer und Benzin für euch« und »Judenpack«. Ein Journalist filmte den Vorgang auf dem Handy und machte ihn später in den sozialen Netzwerken öffentlich.
Mehrere Personen erstatteten Anzeige gegen K. Die zuständige Staatsanwaltschaft Braunschweig stellte die Ermittlungen aber ein und sah keine Volksverhetzung. Auf eine Beschwerde hin ordnete die vorgesetzte Generalstaatsanwaltschaft dann eine Überprüfung dieser Entscheidung an.
Doch die Staatsanwaltschaft kam erneut zu demselben Ergebnis. Zwar sei der Tatbestand der Beleidigung gegeben, aber die Aussagen von K. seien nicht als Beleidigung aller Juden in Deutschland, sondern nur der anwesenden Personen anzusehen.
Der Fall sorgte daraufhin bundesweit für Schlagzeilen, es hagelte Kritik an den Braunschweiger Ermittlern sowie von den Antisemitismusbeauftragten Niedersachsens und Nordrhein-Westfalens, Gerhard Wegner und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger.
Die frühere Bundesjustizministerin sagte der Jüdischen Allgemeinen: »Selbst wenn man den Auffassungen der Staatsanwaltschaft folgen sollte, und mich überzeugen sie nicht, sind diese Bezeichnungen als intendierte Herabwürdigungen zu verstehen.« Die Vokabel »Juden« werde hier in einem beschimpfenden und herabwürdigenden Kontext gebraucht.
WENDUNG Wegner äußerte sich ähnlich: »Wenn jemand eine Menschengruppe, egal welche, als ›Judenpack‹ beschimpft, dann ist das eine eklatante Form von Verhetzung und Verharmlosung der Nazi-Diktatur. So etwas muss geahndet werden, dafür gibt es keine Rechtfertigung.«
Jetzt gibt es eine neuerliche überraschende Wendung in dem Fall. Am Mittwoch gaben die Ermittler in Braunschweig bekannt: »Die Staatsanwaltschaft hat Anklage gegen einen 53-jährigen Braunschweiger erhoben, weil dieser sich am 15.11.2020 gegenüber mehreren Medienvertretern antisemitisch geäußert haben soll. Diese Äußerungen stellen nach Ansicht der Staatsanwaltschaft eine Volksverhetzung und Beleidigung dar.«
Den beiden Einstellungsverfügungen von 2021 und 2023 hätten zum einen »formale Erwägungen« zugrunde gelegen. So habe es zum Zeitpunkt der ersten Verfahrenseinstellung »an wirksamen Strafanträgen zur Verfolgung der Beleidigung« gefehlt.
Keine der unmittelbar vor Ort anwesenden Personen, die die Äußerungen hören konnten, habe innerhalb der gesetzlich vorgesehenen Dreimonatsfrist Anzeige erstattet. Erst nach der medialen Berichterstattung hätten weitere Personen, darunter ein jüdisches Ehepaar aus Laatzen, Anzeige wegen Beleidigung erstattet, sodass nunmehr auch dieser Tatbestand verfolgbar sei, erläuterte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft gegenüber dieser Zeitung.
Man habe bis auf den Beschuldigten keine der Personen ermitteln können, die Zeuge des Vorfalls gewesen seien. Die Anklage beruhe demnach allein auf den Videoaufzeichnungen. Zwar ist den Ermittlern bekannt, wer das Video veröffentlicht hatte, allerdings nicht der Urheber selbst.
Beim Tatbestand der Volksverhetzung hingegen kann die Staatsanwaltschaft von Amts wegen tätig werden. Nach »Auswertung historischer Quellen aus der Zeit des Nationalsozialismus« und »unter Berücksichtigung des Vorbringens der Beschwerdeführer erscheinen die Äußerungen des Beschuldigten nunmehr in einem anderen Licht«, so die Behörde, gehe man nunmehr davon aus, dass es K. darauf angekommen sei, »die Gesamtheit der in Deutschland lebenden Juden zu verunglimpfen.«
VOLKSVERHETZUNG Er habe durch seine Äußerungen zu Gewalt- und Willkürakten gegen die vermeintliche »Judenpresse« aufstacheln wollen. Mit diesem Kampfbegriff sei in historischen Quellen aus den 30er-Jahren die nicht-nationalsozialistische Presse gemeint gewesen. Daher könne dies, auf heute übertragen, als Aufruf zur Hetze gegen die deutsche Presse nach Paragraf 130 des Strafgesetzbuchs gewertet werten.
Dort heißt es, dass jemand, »der in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, gegen eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe, gegen Teile der Bevölkerung oder gegen einen Einzelnen wegen dessen Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung zum Hass aufstachelt, zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen auffordert oder die Menschenwürde anderer dadurch angreift, dass er eine vorbezeichnete Gruppe, Teile der Bevölkerung oder einen Einzelnen wegen dessen Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet«, mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren verurteilt werden kann.
Im Februar hatte der zuständige Staatsanwalt noch gefolgert, es lasse sich nicht zweifelsfrei belegen, dass sich die Äußerungen des Beschuldigten auch gegen die in Deutschland lebenden Juden gerichtet hätten. Damals hieß es: »Der Begriff ›Judenpack‹ ist im unmittelbaren zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit dem Begriff ›Judenpresse‹ erfolgt. Damit liegt auf der Hand, dass der Beschuldigte die anwesenden Medienvertreter als ›Judenpack‹ bezeichnen wollte, nicht aber zugleich die in Deutschland lebenden Juden als ›Pack‹ bezeichnet werden.« Hinzu komme, dass die Äußerungen »ersichtlich spontan erfolgt« und »eine Reaktion auf die vor Ort anwesenden Medienvertreter« gewesen seien. Bei Veranstaltungen des rechten Spektrums, die von Medienvertretern begleitet würden, sei so etwas gang und gäbe.
Auch an der in Paragraf 130 des Strafgesetzbuchs geforderten Öffentlichkeit der Aussagen habe es gefehlt, da keine Personen anwesend gewesen seien, die hätten aufgehetzt werden können, hatte der Braunschweiger Ermittler zunächst konstatiert. Das von einem Journalisten später veröffentlichte Handyvideo des Vorfalls habe den Vorgang später zwar publik gemacht. Damit habe K. aber nicht rechnen können.
Nach den Beschwerden gegen die Einstellung erfolgte nun aber die Kurskorrektur der Behörde. Der Tatbestand der Störung des öffentlichen Friedens könne ebenfalls bejaht werden, so der Sprecher, da auf dem Video neben den von K. angesprochenen Journalisten noch weitere Personen zu sehen seien. Ob die Ermittler mit ihrer neuen Argumentation vor Gericht Erfolg haben werden, ist dennoch unklar. In jüngster Zeit haben Gerichte wiederholt Anklagen wegen Volksverhetzung zurückgewiesen, zuletzt im Fall von Sucharit Bhakdi, den das Amtsgericht Plön freisprach.
WEITERE FÄLLE K. ist ein in der Region Braunschweig bekannter Rechtsextremist und aktuell niedersächsischer Landesvorsitzender der Splitterpartei »Die Rechte«. Der besagte Vorfall ereignete sich nach einer »Mahnwache« vor der Synagoge in Braunschweig, die unter dem Motto »Freiheit für Palästina – Menschlichkeit ist nicht verhandelbar! Zionismus stoppen!« angemeldet war und zwischen »19:33« und »19:45« Uhr stattfinden sollte. Rund 50 Personen aus der rechten Szene nahmen daran teil. Im April verurteilte das Amtsgericht Braunschweig einen der Organisatoren der Mahnwache, Johannes W., wegen des Mottos zu einer Geldstrafe.
Gegen K. hat die Staatsanwaltschaft Braunschweig bereits wegen eines anderen Vorfalls, im Dezember 2020, Anklage beim Amtsgericht erhoben. Damals hatte K., eine Deutschlandflagge in der Hand, Gegendemonstranten unter anderem als »miese Leute aus Israel« bezeichnet, gegen die schon sein Opa gekämpft habe. Der Fall wurde bislang aber noch nicht verhandelt.