In München hat die Pflege der jiddischen Sprache Tradition. Da gab es die osteuropäischen DPs, die mameloschn als ihre Muttersprache mitbrachten, später ihre Kinder, die sie mehr oder weniger gut sprachen, zumindest aber noch verstanden, und nun Zuwanderer aus den GUS-Staaten, bei denen Jiddisch manchmal das Einzige war, was sie noch mit der Kultur ihrer Vorfahren verband.
Eine wissenschaftliche Heimat hat das Jiddische am Lehrstuhl für jüdische Geschichte und Kultur der Ludwig-Maximilians-Universität. Jiddisch-Lektorin Evita Wiecki unterrichtet auch nichtjüdische Studenten. Diese könnten ohne solche Spezialkenntnis zahlreiche Dokumente der Nachkriegszeit gar nicht auswerten, so Wiecki.
Yerushalyim Darum arbeiten der Lehrstuhl und dessen Freundeskreis an der Einrichtung eines Stipendiums »far studenten, vos viln farbrengen zumertsayt etlekhe vokhn in a yiddish redndiker svive – in Vilne tsi in New York tsi in Yerushalyim«. Sponsoren für die Finanzierung der Teilnahme an einer Sommerakademie im Ausland werden gerade gesucht.
Für den alljährlichen – inzwischen siebten – Scholem-Alejchem-Vortrag, zu dem der Lehrstuhl und das IKG-Kulturzentrum einluden, gibt es bereits die Tradition, zu spenden und zu erinnern. Dieses Jahr gedachte Paul Tauchner gemeinsam mit seiner Frau Diana seiner Eltern Maximilian und Henriette Tauchner sel. A. Der gebürtige Wiener und ehemalige IKG-Gemeindepräsident Tauchner sen. war zwar kein Jiddisch-Muttersprachler gewesen, hatte aber während seiner Jahre in Polen und in den Münchner Nachkriegsjahren viel mit jiddischsprachigen Glaubensgenossen zu tun.
Für den Historiker und Lehrstuhlinhaber Michael Brenner ist es jedes Jahr eine Freude »tsi bagrizen a za groyzen oylem«. Das zahlreiche Publikum wurde von Anna Shternshis, die den Vortrag in diesem Jahr hielt, mit Bilddokumenten und Vertonungen in eine unbekannte Welt entführt. Die 1974 in Moskau geborene, heute an der Universität von Toronto tätige Historikerin veröffentlichte die Bücher Soviet and Kosher: Jewish Popular Culture in the Soviet Union 1923–1939 und When Sonia met Boris: An Oral History of Jewish Life under Stalin.
Gedichte Kürzlich kam noch die CD Yiddish Glory. The Lost Songs of World War II hinzu. Rund 1,4 Millionen Juden hatten in Usbekistan und Kasachstan auf das Ende des Zweiten Weltkriegs gehofft und um ihre von den Deutschen überrollten oder in der Roten Armee kämpfenden Angehörigen gebangt. Dieser Sorge gaben sie in Gedichten Ausdruck. Manche wurden auf bekannte Musikstücke gereimt.
Bei anderen betrieb Shternshis gemeinsam mit Psoy Korolenko »musikalische Archäologie«, konnte Noten zuordnen. Grundlage war das in der Ukraine wiedergefundene Archiv des Musikethnologen Moisei Beregovsky (1892–1961), der zwischen 1944 und dem Forschungsverbot ab 1947 Überlebende befragt hatte.
Das Lied »Purimgeschenke für Hitler« etwa entstand 1945 in Kasachstan: »Haman, Antiochus, Torquemada, Kruschewan / Haben schon vor dir versucht, die Welt zu zerbrechen«. Aus solchen Zeilen sprechen jüdisches Wissen, Selbstironie und das Versprechen, nichts zu vergessen.