Stadtrat in München, Abgeordneter des Landtags und seit November 2018 bayerischer Justizminister: Georg Eisenreich (48) hat trotz seines »jugendlichen Alters« eine steile politische Karriere hinter sich. Mit der Israelitischen Kultusgemeinde ist er seit Jahren eng verbunden. Immer wieder hatte er während seiner Amtszeit als Staatsekretär im Kultusministerium mit Charlotte Knobloch und der jüdischen Gemeinde zu tun. Beim Thema Antisemitismus gibt es für ihn keinerlei Spielraum, sagt Eisenreich.
Herr Eisenreich, in einigen Bundesländern gibt es noch keinen Antisemitismusbeauftragten, Bayern hat einen bei der Staatsregierung und jeweils einen bei den Generalstaatsanwaltschaften in München, Nürnberg und Bamberg. Ist das Problem im Freistaat denn besonders groß?
Nein, wir in Bayern legen aber besonderen Wert darauf, konsequent auf den Anstieg antisemitisch motivierter Vorfälle und Straftaten in ganz Deutschland zu reagieren. Wachsender Antisemitismus ist in ganz Europa ein Problem. Wir ziehen nur eine klare Grenze und handeln entschlossen. Antisemitismus hat bei uns keinen Platz, und die Antisemitismusbeauftragten leisten hierzu einen wichtigen Beitrag.
Was machen sie genau?
Zu den Zielsetzungen der Antisemitismusbeauftragten bei den Generalstaatsanwaltschaften zählen die einheitliche Rechtsanwendung bei der Bearbeitung antisemitischer Delikte und die Koordination von Ermittlungen, die bei verschiedenen Staatsanwaltschaften geführt werden. Der Beauftragte ist zudem bei antisemitischen Straftaten der zentrale Ansprechpartner für Behörden im In- und Ausland und für jüdische Einrichtungen und Betroffene.
Ludwig Spaenle, der Antisemitismusbeauftragte der Staatsregierung, ist seit knapp einem Jahr im Amt, die Beauftragten bei den Generalstaatsanwaltschaften seit wenigen Monaten. Hat ihre Arbeit schon Erfolge gebracht?
Die Beauftragten sind in ständigem Kontakt mit den Staatsanwaltschaften vor Ort. So entsteht eine noch höhere Sensibilität für mögliche antisemitische Hintergründe von Taten. Diese können dann auch bei der Strafzumessung berücksichtigt werden. Außerdem ist in der kurzen Zeit ein reger Austausch der Beauftragten untereinander und auch mit den jüdischen Gemeinden und zivilgesellschaftlichen Akteuren entstanden. Das ist auch nötig, denn der Kampf gegen Antisemitismus gelingt nur mit vereinten Kräften von Staat und Gesellschaft.
Ludwig Spaenle hat angekündigt, eine Meldestelle einzurichten. Was verbirgt sich dahinter?
Mit dieser Einrichtung sollen alle Fälle von Judenfeindlichkeit erfasst werden, auch die unterhalb der Schwelle zur Strafbarkeit. So lassen sich die Dimensionen des Antisemitismus besser abbilden. Parallel dazu wollen wir bei der Justiz einheitliche Richtlinien für die Verfolgung antisemitischer Straftaten erreichen. Erste Schritte wurden bereits eingeleitet.
Wie sehen diese Schritte aus?
Den Staatsanwaltschaften wurden konkrete Maßgaben für die Behandlung von Fällen mit antisemitischem Hintergrund an die Hand gegeben. Zum einen geht es darum, dass eine nachdrückliche Verfolgung antisemitischer Straftaten grundsätzlich im öffentlichen Interesse liegt. Das heißt zum Beispiel, dass in aller Regel keine Verweise auf den Privatklageweg erfolgen sollen, sondern diese Delikte von der Staatsanwaltschaft selbst zur Anklage gebracht werden. Die Staatsanwaltschaften wurden zudem darauf hingewiesen, dass für die Frage nach dem Vorliegen einer antisemitischen Straftat die Arbeitsdefinition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) maßgeblich ist. Diese Definition ist eine Schlüsselfrage, denn Antisemitismus hat viele Motive: religiöse, rassistische, politische. Auch ein Teil der Kritik an Israel ist antisemitisch. Die Politik Israels darf kritisiert werden. Wer aber den Staat Israel dämonisiert, delegitimiert oder doppelte Standards anlegt, der kritisiert nicht, der agitiert. Das darf nicht salonfähig werden. Die bayerische Staatsregierung bekämpft den Judenhass in allen Formen, auf allen Ebenen – politisch, juristisch, von der Schule bis zum Strafvollzug. Dafür sind aber auch gesetzliche Anpassungen dringend notwendig.
Wie sollen diese Anpassungen Ihrer Meinung nach aussehen?
Dazu gehört etwa ein härteres Vorgehen gegen Beleidigungen im Internet, wo sich ein Großteil solcher Straftaten abspielt. Anfeindungen im Netz haben eine größere Reichweite, sind oft enthemmter und praktisch nicht mehr aus der Welt zu schaffen. Das Leid der betroffenen Opfer ist dementsprechend besonders groß. Hier muss sich der Gesetzgeber im Bund bewegen. Unsere Vorschläge liegen auf dem Tisch. Dasselbe gilt für Strafbarkeitslücken bei der Volksverhetzung.
Strafbarkeitslücken bei Volksverhetzung: Könnten Sie das zum besseren Verständnis an einem Beispiel erläutern?
Wenn Personen aus Deutschland gezielt ins Ausland reisen, um dort volksverhetzende und antisemitische Inhalte, die sich gezielt an inländische Adressaten richten, ins Internet stellen, kann es Probleme bei der Strafverfolgung geben. Vor allem dann, wenn die Inhalte in dem jeweiligen Land nicht strafbar sind. Bayern hat auf diesen Sachverhalt bereits im vergangenen Juni in der Justizministerkonferenz hingewiesen und mit einem Antrag, der auch von den anderen Ländern unterstützt wurde, eine Nachbesserung bei der Bundesjustizministerin angemahnt. Das Strafrecht muss jüdischen Bürgerinnen und Bürgern bestmöglichen Schutz bieten.
Im Januar wurde eine Eurobarometer-Umfrage veröffentlicht. Danach nehmen 36 Prozent der Gesamtbevölkerung in Europa zunehmenden Antisemitismus wahr. In Deutschland sind es sogar 61 Prozent und unter jüdischen Menschen gar 90 Prozent. Wurde diese Entwicklung verschlafen?
Antisemitismus hat in der öffentlichen Wahrnehmung lange Zeit eine eher untergeordnete Rolle gespielt und unterlag oft dem zu einfachen Strickmuster, dass Antisemitismus fast nur von rechts kommt. Statistiken zufolge ist der größte Teil dieser Straftaten rechtsextrem motiviert. Allerdings zeigt sich genauso deutlich, dass Judenhass auch von links kommt und auch aus den Ländern Nordafrikas, dem Nahen und Mittleren Osten importiert wurde und wird.
Sie haben kürzlich gesagt, für die Sicherheit sei der Staat zuständig, Sie zum Beispiel oder der Innenminister. Aber es gebe auch viele Situationen, bei denen nicht Leib und Leben bedroht sind, sondern das Gefühl, hier zu Hause zu sein. Was meinen Sie damit?
Die Bekämpfung von Antisemitismus ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Jeder Einzelne trägt hier Verantwortung. Wir müssen sicherstellen, dass sich jüdische Bürgerinnen und Bürger in ihrer bayerischen Heimat weiter wohlfühlen.
Mit dem bayerischen Justizminister sprach Helmut Reister.