Hochkarätiger hätte die Diskussionsrunde zum Thema Antisemitismus kaum ausfallen können. Neben dem Juristen, Publizisten und Fernsehmoderator Michel Friedman hatten am Mittwoch vergangener Woche der Beauftragte der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus, Felix Klein, und sein bayerischer Amtskollege Ludwig Spaenle auf dem Podium im Gemeindezentrum der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) München und Oberbayern Platz genommen.
IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch, die die Gäste im bis auf den letzten Platz besetzten Hubert-Burda-Saal begrüßte, machte zu Beginn der Veranstaltung deutlich, dass der immer weiter fortschreitende Antisemitismus Besorgnis und Angst in der jüdischen Gemeinschaft auslöse. Zugleich warnte sie vor einer Verharmlosung des Nationalsozialismus in der politischen Debatte. Das Thema des Abends war auf die Leinwand hinter der Bühne projiziert. »Judenhass« war dort zu lesen – und daneben Hannah Arendts berühmter Satz, wonach man vor Antisemitismus nur noch auf dem Mond sicher sei.
KRIMINALSTATISTIK Auf der Erde fühlen sich Juden unsicherer denn je. Das ging aus den Worten der Diskussionsgäste hervor, das sprach Charlotte Knobloch an, das war der wesentliche Inhalt der Fragen und Redebeiträge aus dem Publikum – und das spiegeln auch die Zahlen aus der Kriminalstatistik wider, in denen sich ein rasanter Anstieg antisemitischer Straftaten manifestiert, ebenso wie eine erhebliche Dunkelziffer.
Doch auch diese soll in eine Erhebung einfließen, die der Antisemitismusbeauftragte Klein angekurbelt hat, um das gesamte Ausmaß von Antisemitismus überblicken zu können. Weitere gesellschaftlich relevante Impulse soll seinen Worten zufolge ein bundesweiter Monitoring-Verein setzen.
Es sei an der Zeit, den Sonntagsreden endlich Taten folgen zu lassen, betonte Michel Friedman.
Ob derartige Bemühungen ein entscheidendes Kriterium sind, den aufflammenden Judenhass begrenzen zu können, bezweifelte selbst Bayerns Antisemitismusbeauftragter Ludwig Spaenle. »Wir müssen grundsätzlicher werden, sonst passiert nichts«, lautete seine unmissverständliche Einschätzung.
Michel Friedman, kühl analysierend, brachte die notwendigen Maßnahmen inhaltlich auf den Punkt und dürfte Charlotte Knobloch aus dem Herzen gesprochen haben, als er anmerkte, dass es an der Zeit sei, den ständigen Sonntagsreden nun auch endlich Taten folgen zu lassen. Das fordert die IKG-Präsidentin schon seit etlichen Jahren.
Große Spielräume bei der Bekämpfung von Antisemitismus erkennt Michel Friedman allerdings nicht. »Die Situation ist ernst, und ich bin eher skeptisch, ob wir das so richtig in den Griff bekommen«, erklärte er.
WEGSCHAUEN Dabei sei das konsequente Wegschauen – dieser Punkt kam an diesem Abend im Gemeindezentrum mehrfach zur Sprache – nicht nur ein Parameter, der unheilvolle politische Entwicklungen in Gang setze und den Massenmord der Nazis an den Juden ermöglicht habe, sondern auch ein Symptom mangelnder Anteilnahme und Begleiterscheinung aktueller gesellschaftlicher Veränderungen. Der Antisemitismus hat den Worten Michel Friedmans zufolge seit jeher eine Substanz in der Bundesrepublik, tritt heute jedoch in unterschiedlichsten Formen und Ausprägungen zutage.
Auf diesen Aspekt war bereits Charlotte Knobloch in ihrer Rede in Zusammenhang mit der sogenannten BDS-Bewegung eingegangen. »Für diese antisemitische Boykottkampagne ist die Dämonisierung Israels das einzige Ziel«, betonte sie. Dieser Plattform und allen anderen Formen von Antisemitismus müsse die jüdische Gemeinschaft laut hörbar und selbstbewusst entgegentreten. Sie sprach damit auch einen Aspekt an, den Elio Adler, Vorstandsvorsitzender des Berliner Vereins WerteInitiative, der die Diskussion moderierte, mit der Frage in den Raum gestellt hatte, warum Antisemitismus alle angehe.
Michel Friedmans Antwort darauf war ebenso knapp wie einprägsam. »Jeder ist Jude«, stellte er vor dem Hintergrund der Multinationalität unserer Gesellschaft fest und begründete dies mit dem Aspekt des Humanismus, einem der Grundwerte unseres demokratischen Systems.
PARLAMENTE Mit Blick auf den politischen Wandel, rechtsextremistische Entwicklungen und den Einzug der AfD in die bundesdeutschen Parlamente kritisierte Friedman: »Da ist in unserer Gesellschaft etwas versäumt worden.« Er stellte ferner fest, dass das wirkliche Problem noch tiefer gehe: »Es ist der Alltags-Antisemitismus, der in der Verwaltung, der Polizei, der Justiz und in weiten Teilen der Gesellschaft zu finden ist.«
Ludwig Spaenle, der das Amt des Antisemitismusbeauftragten in Bayern vor rund einem halben Jahr antrat, stellt sich die Frage, wie aus der Erinnerung an die Vergangenheit etwas Neues für die Zukunft geformt werden könne. Sicher ist er jedoch in seiner Einschätzung, dass Fortschritte nur mit einer Kultur des Hinschauens erzielt werden könnten.
Bildung und Erziehung sind für Spaenle entscheidende Faktoren in der Präventionsarbeit.
Eine entscheidende Rolle im Kampf gegen Judenhass komme laut Ansicht Spaenles den Lehrern und Schulen zu. Bildung und Erziehung seien ganz entscheidende Faktoren in der Präventionsarbeit, auch mit Blick auf die neu hinzugekommenen Kinder aus arabischen Ländern. »Das ist eine echte Herausforderung«, erklärte der ehemalige bayerische Kultusminister. Spaenle erinnerte auch daran, dass in wenigen Jahren das Fehlen von Zeitzeugen eine wichtige Zäsur darstelle.
Die Sorge über die Entwicklungen am rechten politischen Rand und die generelle Zunahme von Antisemitismus sowie ein wachsendes fehlendes Sicherheitsgefühl sprachen aus den Fragen und Wortbeiträgen der Besucher, die an diesem Abend den Weg ins Gemeindezentrum gefunden hatten.