Anmerkung der Redaktion (2. August 2023):
Als dieser Text von Fabian Wolff in der Jüdischen Allgemeinen erschien, glaubte die Redaktion Wolffs Auskunft, er sei Jude. Inzwischen hat sich Wolffs Behauptung als unwahr herausgestellt.
Die 26. Jüdischen Kulturtage Berlin, die am Donnerstagabend eröffnet werden, sind anders. Zum Glück: Denn sie verzichten auf Klezmer und jüdische Witze. In diesem Jahr konzentriert sich das Festival vor allem auf Musik. So spielt der israelische Bassist Avishai Cohen mit seinem Trio in der Synagoge Rykestraße. Er verbindet modernen Jazz mit leichten orientalischen Einflüssen und einer Spur Mystik. Gelernt hat er das in der Band von Chick Corea. Inzwischen spielt Cohen nicht nur Bass, sondern singt auch. (16.8., 20 Uhr)
Martin Kranz, Intendant der Jüdischen Kulturtage, freut sich über den Coup, Cohen nach Berlin holen zu können: »Avishai zu kriegen, war natürlich nicht ganz einfach. Er ist einer der ganz Großen, der sicher noch die Welt erobern wird. Aber das Schöne ist: Wir müssen die Israelis gar nicht mehr nach Berlin bitten, sie kommen gerne.« So sind die Kulturtage ein heimliches Festival neuer israelischer Musik.
Premiere Die Band Yemen Blues, deren Mitglieder aus Tel Aviv und New York kommen, verbindet jemenitische Musik mit Blues-Bass und Funk-Groove. Bei den Jüdischen Kulturtagen treten sie erstmals mit der senegalesischen Rapperin Sister Fa auf. (Synagoge Rykestraße, 19.8., 20 Uhr) Eine echte Europa-Premiere ist der Auftritt von Red Band. Als Mischung aus den Muppets, South Park und den Puppetmastaz covert die Filzband Rock-Klassiker.
In Israel haben sie eine eigene Fernsehsendung, Auftritte in den USA und Costa Rica hatten sie auch schon. Wer sich in diesem Jahr nur eine israelische Puppen-Coverband ansieht, sollte sich für Red Band entscheiden. Unterstützt werden sie bei ihrem Konzert im Lido von dem deutschen Soul-Sänger Flo Mega. (23.8., 21 Uhr)
Etwas weniger wild wird es wohl beim Kammerkonzert in der Mendelssohn-Remise zugehen. Zum Themenjahr »250 Jahre Mendelssohn« wird das dritte Klavierquartett von Felix Mendelssohn Bartholdy gespielt, gefolgt vom Klavierquartett in Es-Dur seines Freundes Robert Schumann. (23.8., 20 Uhr)
Das größte musikalische Ereignis der Kulturtage ist neben dem David Broza Trio vielleicht das Konzert mit angeschlossenem Gottesdienst, bei dem die Komposition »Begrüßung der Königin Schabbat« von Jakob Dymont gespielt wird. Dymonts Freitagabend-Liturgie hatte 1934 in der Synagoge Rykestraße ihre Uraufführung. Zusammen mit dem Rias-Kammerorchester wird Kantor Assaf Levitin das Stück, das lange als verschollen galt, wieder zum Leben erwecken. (17.8., 20 Uhr)
Ausstellung Neben neuer Musik aus Israel und deutsch-jüdischen klassischen Kompositionen widmen sich die Jüdischen Kulturtage auch anderen, dunkleren Themen. Die Ausstellung »Der Gelbe Schein« zeigt den Mädchen- und Frauenhandel, der die große Auswanderungswelle in Europa zwischen 1860 und 1930 begleitete. (Centrum Judaicum, 19.8. bis 30.12.)
Rund 70 Jahre, nachdem Anne Frank ein Tagebuch geschenkt bekommen hat, wird ihr Cousin Buddy Elias aus Grüße und Küsse an alle, einer Familiengeschichte der Familie Frank, lesen. Inspiration für das Buch war die Entdeckung von Briefen und Fotos auf Elias’ Dachboden. Die Übersetzerin Mirjam Pressler hat daraus gemeinsam mit Gerti Elias eine Chronik der Franks verfasst. (Anne-Frank-Zentrum, 19.8., 19 Uhr)
Diese Vielfalt zeichnet die Jüdischen Kulturtage aus. Zum 25. Jubiläum im vergangenen Jahr versuchte man ein paar Neuanfänge, die das Festival nun weiterführt. Zum zweiten Mal findet am 18. August die Lange Nacht der Synagogen statt. Auf dem Shuk HaCarmel kann man wie beim Tel Aviver Vorbild Pita und Falafel essen und spazieren gehen. (19.8., vor dem Gemeindehaus Fasanenstraße) Zwei Crashkurse in jüdischer Geschichte und jüdischer Mystik sollen Lust auf jüdisches Wissen machen. (Heinrich-Böll-Stiftung, 20.8., 18 Uhr/Konrad-Adenauer-Stiftung, 22.8., 18 Uhr)
Graphic Novel Im vergangenen Jahr sprachen die beiden Dichter SAID aus dem Iran und Asher Reich aus Israel gemeinsam über ihr Leben – diesmal wird die jüngere Generation befragt. Hamed Eshrat, geboren 1979 in Teheran und Absolvent der Kunsthochschule Berlin-Weißensee, erzählt in seinem Buch Kaiserschnitt die Geschichte seiner Familie und der Iranischen Revolution – als Graphic Novel, in der Tradition von Marjane Satrapi (Persepolis) und Guy Delisle (Aufzeichnungen aus Jerusalem).
Und der israelische Schriftsteller Ron Leshem hat über Facebook Kontakt mit jungen Iranern aufgenommen, deren Erfahrungen in seinen Roman Der geheime Basar über einen iranischen Studenten einflossen. Bei der Veranstaltung »Next Generation« werden Esher und Leshem Auskunft über Ängste und Hoffnungen ihrer Generation geben. (21.8., 19 Uhr, Jüdisches Museum)
Martin Kranz sieht solche Veranstaltungen als Hauptziel der Jüdischen Kulturtage: »Mit der Sprache der Kunst kann man einfacher miteinander reden – dann können sich zum Beispiel Iraner und Israelis begegnen, wie ihre Sicht der Welt ist.« Das macht die Kulturtage in Berlin so besonders: Ihr Ziel ist nicht Musealisierung und Archivierung, sondern echter und lebendiger Dialog, in vielen Sprachen.
Nach dem Fokus auf die Sprache der Musik sollen im nächsten Jahr, so verrät Kranz, Literatur und Theater im Vordergrund stehen. Ein Glück, dass damit sicher nicht Kishon und Nathan der Weise gemeint sind.
Das komplette Programm und Infos unter
www.juedische-kulturtage.org