Michael Brenner, Inhaber des Lehrstuhls für Jüdische Geschichte und Kultur an der Ludwig-Maximilians-Universität München und Historiker von internationalem Rang, hat für sein neues Buch den schlichten Titel Israel gewählt.
Etwas mehr über die Zielsetzung des Autors verrät der Untertitel: Traum und Wirklichkeit des jüdischen Staates. Von Theodor Herzl bis heute. Um noch mehr über Gründung und Entwicklung Israels zu erfahren, waren jüngst mehrere Hundert Interessierte zur Buchvorstellung ins Gemeindezentrum am Jakobsplatz gekommen.
analyse Der gelungene, am Ende mit viel Applaus belohnte Abend wurde vom renommierten Verlag C.H. Beck, dem Freundeskreis des Lehrstuhls für Jüdische Geschichte und Kultur, der Literaturhandlung und dem Kulturzentrum der IKG München und Oberbayern organisiert. Einen ersten Hinweis auf die Vielschichtigkeit der Thematik, die Michael Brenner in der Neuerscheinung ins Visier nimmt, lieferte die Publizistin und Literaturwissenschaftlerin Rachel Salamander in ihrer Begrüßungsrede. »Israel«, sagte Salamander ganz nüchtern und kühl analysierend, »hat nicht viele Freunde.«
Auch Wolfgang Beck, der langjährige und seit Kurzem im Ruhestand lebende Chef des Münchner Verlagshauses, ließ es sich nicht nehmen, als Repräsentant von C.H. Beck an der kurzweiligen Buchpräsentation im Gemeindezentrum teilzunehmen. In seiner Rede ging er auf die Außenseiterrolle Israels in der Staatengemeinschaft ein. »Jede Nation«, erklärte Beck mit Blick auf die Gründung des jüdischen Staates, »will einen eigenen Staat. Bei den Juden wird darüber diskutiert, ob sie überhaupt ein Volk sind.«
Beck lobte die »meisterhafte Art«, mit der Michael Brenner die politische und gesellschaftliche Entwicklung Israels mit der Geschichte seiner Selbstentwürfe, Träume und Traumata verwoben hat. Und in der Tat: Nur wer diese Tiefendimension Israels kennt, kann das große kleine Land, das immer wieder die Welt in Atem hält, auch wirklich verstehen.
Religion Nicht ohne Grund bezeichnete Michael Brenner das Gemeindezentrum der IKG, das Herz des jüdischen Lebens in München, als idealen Ort für die Vorstellung seines Buches. »Israel geht uns alle an«, lautet eine seiner unverrückbaren Thesen. »Israels Geburt«, sagt er, »ist zutiefst mit den Wunden Deutschlands und Europas verbunden, die Religion der meisten Menschen findet ihre Ursprünge im Gebiet des heutigen Israel, und das winzige Stück Land im Nahen Osten spielt für Menschen weltweit eine besondere Rolle.«
In seinem Buch beschreibt der 1964 geborene Historiker, wie sich die Zionisten einen jüdischen Staat vorstellten, wie sich Israel seit seiner Gründung 1948 entwickelt hat und welche gegensätzlichen Visionen das Land zunehmend spalten. Brenners Blick reicht weit zurück, bis ins 19. Jahrhundert, als der Zionismus entstand und Theodor Herzl die Juden zu einem ganz normalen Volk mit einem ganz normalen Staat machen wollte.
Ein ganz normaler Staat für ein normales Volk? Dazu schreibt Brenner: »Entweder so zu sein wie jedes andere Volk oder aber ein Licht unter den Völkern – dieses Spannungsfeld hat nicht nur die Geschichte des Zionismus geprägt, sondern auch die Diskussion um den Charakter eines zukünftigen jüdischen Staates und des bestehenden Staates Israel.«
souverän Der Wunsch, die durch die Geschichte und die Schoa geprägte Außenseiterrolle abzulegen, sei sogar in die Unabhängigkeitserklärung Israels aus dem Jahr 1948 eingegangen. Dort heißt es: »Es ist das natürliche Recht des jüdischen Volkes, ein Leben wie jedes andere Volk in einem eigenen souveränen Staat zu führen.«
Es ist ein mächtiger zeitgeschichtlicher Bogen, den Michael Brenner schlägt, um darzulegen, warum das Modell von einem ganz normalen Staat von vornherein zum Scheitern verurteilt war. Zentrale Fragen, die er in dem Buch akribisch und fundiert zu beantworten versucht und die auch bei der Buchpräsentation eine bestimmende Rolle spielten, hören sich auf den ersten Blick einfacher an, als sie sind: Wie religiös ist der jüdische Staat, und welche Grenzen soll es dabei geben? Wer gilt in Israel als Jude, und wer ist israelischer Staatsbürger?
Der Komplexität, die sich hinter solchen Fragen versteckt, rückt Brenner aus unterschiedlichsten Perspektiven zu Leibe – zum Beispiel im letzten Kapitel, das den Titel »Die zwei Gesichter Israels« trägt. »Wenn man heute Israel definieren will«, schreibt er, »muss man zunächst fragen, welches Israel man meint: das religiöse Jerusalem, das sich seiner Sonderrolle in der Weltgeschichte der Religionen bewusst ist, oder das säkulare Tel Aviv, das am liebsten ein Manhattan am Mittelmeer sein will? Wer von Jerusalem nach Tel Aviv reist, dem wird in der weniger als eine Stunde dauernden Fahrt zwischen den beiden größten Bevölkerungszentren Israels schnell bewusst, wie komplex und vielfältig die Gesellschaft in diesem Land ist«.