Mutter, Künstlerin, Sekretärin und Kulturbeauftragte – Doris Adler ist alles in einem. Vor 27 Jahren hatte sie ihren ersten Arbeitstag bei der Jüdischen Gemeinde Frankfurt. Der 30. März 2012 war ihr letzter – allerdings nur im Angestelltenverhältnis. Seither ist Doris Adler zwar Rentnerin. Ihren Job macht sie aber mit vollem Elan weiter. Einzige Einschränkung: Sie ist montags nicht mehr im Büro.
Erreichbar ist sie trotzdem, denn die Jüdischen Kulturwochen stehen bevor – sie beginnen am 26. August traditionell mit einem Konzert in der Westend-Synagoge. »Da kann ich nicht einfach abschalten – weder in Gedanken noch das Telefon«, sagt Adler. Genervt ist sie davon nicht: »Wenn man alleine arbeitet, ist das eben so«, erklärt sie mit nüchternem Pragmatismus.
Alleine bedeutet, dass sie ohne Assistenz im Prinzip einen Doppeljob ausübt: Adler managt sowohl das Sekretariat von Gemeindedirektor Stefan Szajak als auch die kulturellen Veranstaltungen der Jüdischen Gemeinde. So tippt sie Szajaks Korrespondenzen, verteilt Mitgliedsbescheinigungen und stellt älteren Gemeindeangehörigen sogenannte Lebensbescheinigungen aus, damit sie von der Rentenkasse weiter ihre Zahlungen bekommen. Sie organisiert die Feiertagsveranstaltungen, damit an Chanukka in der Synagoge Geschenkpäckchen auf die Kinder warten. Und sie plant und organisiert – quasi im Alleingang – die Jüdischen Kulturwochen. Sogar den Kartenvorverkauf erledigt sie nebenbei mit. »Nur an den Veranstaltungsabenden selbst habe ich Unterstützung«, sagt Adler.
Stärken Das ist ein großes Pensum, aber das liegt ihr. Als »Macherin« übernimmt sie gerne Verantwortung. Außerdem habe sie das große Glück gehabt, sagt sie, dass sich ihr Job zunehmend so verändert habe, dass sie ihre Stärken ausleben könne – und neue entdecken. Wie etwa das Moderieren: »Als ich das erste Mal auf der Bühne gestanden habe, um eine Veranstaltung anzukündigen, war ich vor Nervosität stocksteif und musste vor Aufregung alles ablesen«, erinnert sich die Kulturbeauftragte. Mittlerweile trägt sie bei Auftritten ausländischer Autoren schon mal den deutschen Part vor, macht Synagogenführungen, gestaltet Bühnenbilder oder -dekorationen und hat auch für die Heine-Lesung am 4. September die Gedichte zusammengestellt.
Wer darauf wartet, dass sie über ihr Arbeitspensum jammert, wird eines Besseren belehrt. Denn Doris Adler macht ihren Job mit Herzblut. »Und das«, sagt sie, »liegt vor allem daran, dass die Kultur auch mein Hobby ist«, und »dass mir die Kulturdezernenten – früher Michel Friedman und jetzt Dieter Graumann – so viele Freiheiten lassen«.
Auch mit der Kulturkommission der Jüdischen Gemeinde Frankfurt arbeitet Adler »seit Langem gerne und konstruktiv« zusammen: »Das Miteinander motiviert ungemein!« Beständig recherchiert sie, welcher Autor oder Künstler demnächst auf Tour ist oder wer sich bald in Deutschland aufhält. Bei manchen Verlagen, berichtet sie, rufe sie so oft an, dass diese schon in die Knie gingen, wenn sie ihren Namen hörten. Umgekehrt kämen aber die Verlage auch oft auf sie zu, um ihre Autoren für eine Lesung anzubieten.
Wunschliste Ob Lesung, Konzert oder Musikgala – bis heute hat Graumann keine von ihr vorgeschlagene Veranstaltung abgelehnt. Wenn ein Vorhaben nicht umgesetzt werden könne, dann beispielsweise wegen des Termins. So habe sich Graumann beispielsweise eine Lesung mit der US-Autorin Lily Brett gewünscht. »Deren einziger freier Termin in Frankfurt war aber am Vorabend von Jom Kippur«, erklärt Adler das Problem. Ganz oben auf der Wunschliste stehen derzeit Iris Berben – »das klappt vielleicht im Frühjahr« – und Amos Oz.
Ihre Liste mit Wunschgästen wächst stetig, denn Adler »kann keine Zeitung lesen und keine Sendung sehen, ohne automatisch mitzudenken, ob da etwas für uns drinsteckt«, sagt sie. Dabei startete ihre berufliche Laufbahn in eine ganz andere Richtung: Adler ist gelernte Friseurin und Kosmetikerin. Das reichte ihr aber bald nicht mehr: Sie holte ihr Abitur nach, begann zu studieren und arbeitete viele Jahre im Verlagswesen, unter anderem bei Suhrkamp.
Schriftsteller Die Autoren, mit deren Büchern sie sich damals beschäftigte, bekam sie dann in der jüdischen Gemeinde zu Gesicht. Veranstaltungen mit Marcel Reich-Ranicki als Vorredner waren »unsere größten Erfolge«, erinnert sich Adler. Schriftsteller wie Siegfried Lenz, Günter Grass und Martin Walser gaben sich in der Gemeinde ein Stelldichein. Aber auch bei weniger prominenten Autoren war der Saal meist rappelvoll – »da sind die Leute oft nur wegen der Einführung von Ranicki gekommen«.
Sind da auch Freundschaften zwischen ihr und den Autoren entstanden? Das nicht, denn dafür sei die Zeit des Zusammentreffens zu kurz, meint Adler. »Aber darum geht es auch nicht«, sagt sie. »Wir wollen vor allem den Protagonisten ein gutes, professionelles Umfeld bieten, damit es eine gelungene Veranstaltung wird und die Autoren nicht erst noch anfangen müssen, zu organisieren.« Geschmeichelt hat es ihr dennoch, dass Lenz und Grass ihr noch »ein, zwei Mal geschrieben haben« und auch Reich-Ranicki irgendwann seine Weigerung aufgegeben hat, mit ihr persönlich zu sprechen.
Und was macht Doris Adler, wenn sie einmal die Nase voll hat von Hochkultur? Sie treibt Sport, damit sie genug »Power für die manchmal sehr langen Arbeitstage hat« und verbessert ihr Hebräisch und Französisch. »Wenn ich den Kulturbetrieb mal richtig los sein möchte, blättere ich durch ausländische Wohnmagazine oder löse Kreuzworträtsel.« Das beste Mittel, um abzuschalten, sei aber definitiv ihre 20 Monate alte Enkeltochter. Und wenn wir »Oma« in unserer Eingangsaufzählung vergessen haben, dann nur, weil Doris Adler für eine Großmutter irgendwie zu jung erscheint.