Freitagmorgen, Charlottenburg, eine Woche vor Wiedereröffnung der Synagoge Pestalozzistraße: Aufmerksam wandert der Blick von Susan Gülzow den prächtigen Sternenhimmel in dem 1912 erbauten Gotteshaus entlang. Die Decke über der Bima erstrahlt in kräftigem Blau, doch die Restauratorin hadert noch mit dem Licht neben dem Toraschrein. In den vergangenen 16 Monaten hat Gülzow fast jeden Tag mit Sanierungsarbeiten in der Synagoge verbracht. Für die Wiedereröffnung am 19. Dezember soll nun auch wirklich alles perfekt werden.
Also macht sich die 49-jährige Potsdamerin noch einmal an die Arbeit und gibt den Elektrikern Anweisung, das Licht neu zu justieren. »Es würde auch so gehen«, erklärt Gülzow. »Bei anderem Licht kommt der Innenraum aber noch viel besser zur Geltung.« Nach einigem Hin und Her ist schließlich die optimale Position gefunden – Gülzow nickt zufrieden.
schäden Die altehrwürdige Synagoge instand zu setzen, dieser Aufgabe widmet sich Restauratorin Gülzow seit Juni 2013. Damals beschlossen die Jüdische Gemeinde zu Berlin und der Synagogenvorstand, die Instandsetzung des Gebäudes in Angriff zu nehmen. Etliche Schäden machten dem seit Jahrzehnten nicht renovierten Gebäude zu schaffen. Das Dach leckte und musste neu gedeckt werden; fast alle Wände waren von Hausschwamm befallen; die Synagogenkuppel war marode, und durch diverse Wasserschäden drang zunehmend mehr Feuchtigkeit in die Synagoge ein.
»Das Haus war in keinem sehr guten Zustand«, erinnert sich Gülzow an ihre erste Begehung vor anderthalb Jahren. Doch seitdem ist viel geschehen: Die Schäden wurden behoben, den Synagogen-Innenraum versuchten Gülzow und ihr Team nach Originalbildern von 1912 zu rekonstruieren. Per Laboranalyse ermittelten sie, dass die Wände ursprünglich in warmen Terracottafarben gestrichen waren. Außerdem entfernten sie die Styroporplatten an den Fenstern und legten in Fleißarbeit den originalen Wandbehang wieder frei. »Es war wirklich eine Menge Arbeit«, sagt Gülzow und schmunzelt. »Jetzt steht noch der Endspurt auf dem Plan.«
Und in der Tat: Die Vorbereitungen an diesem Nachmittag laufen auf Hochtouren. Doch noch weist nicht viel darauf hin, dass bald in der Synagoge in Anwesenheit von rund 800 Gästen die Eröffnung gefeiert werden kann. In mehreren Ecken stapelt sich der Bauschutt, viele Bänke müssen noch montiert werden und am Eingang verlegen Handwerker zahlreiche Kabel. Derweil bringen Elektriker für den gemischten Chor auf der Empore noch eifrig Lampen an.
atmosphäre »Selbstverständlich geht’s am Freitag los!«, sagt Joachim Jacobs vom Synagogenvorstand. Der 54-Jährige muss es wissen: Er hat die Arbeiten intensiv begleitet. Und mit dem Ergebnis der Restaurierung ist er durchaus zufrieden: Besonders angetan haben es ihm die Farben. »Vorher war alles durch die weiße Farbe eher kalt und funktional. Jetzt ist die Atmosphäre viel wärmer.«
Generell zieht Jacobs ein positives Fazit der Renovierungsarbeiten. »Es ist gut gelungen, dass wir uns an den Originalzustand von 1912 annähern. Bei der Vergrößerung der Synagogenkuppel etwa, den Verzierungen mit Blattgold und dem beeindruckenden Himmel.« Jacobs ist überzeugt: Wer die Synagoge zuletzt vor der Renovierung gesehen hat, wird sie bei der Eröffnung kaum wiedererkennen.
Dabei war es alles andere als einfach, das groß angelegte Projekt umzusetzen. Die Kosten belaufen sich auf insgesamt mehr als eine Million Euro. Einen Großteil davon trägt die Stiftung Deutsche Klassenlotterie. Die Jüdische Gemeinde zu Berlin übernahm weitere Kosten. Spenden in bedeutender Höhe von privaten Einzelpersonen gab es ebenfalls. »Die Pracht, in der die Synagoge heute wieder erstrahlt, ist das Ergebnis einer gelungenen Teamarbeit«, betont Gemeindevorsitzender Gideon Joffe. »Beter, Gemeindemitarbeiter, Synagogenvertreter und der Vorstand der Gemeinde haben bei diesem Projekt alle an einem Strang gezogen.«
provisorisch Das findet auch Synagogenvorstand Jacobs. Nach seinem Empfinden haben sich die Beter der Pestalozzistraße auch gut damit arrangiert, während der Renovierungsarbeiten nicht in ihrer Synagoge beten zu können. Schon im April 2013 wurden die Gottesdienste von der Pestalozzistraße in das Jüdische Gemeindehaus in der Fasanenstraße verlegt, wo vergangene Woche zum letzten Mal Schabbat gefeiert wurde. »Das Provisorium hat sehr gut funktioniert«, weiß Jacobs. »Dennoch ist es sehr schön, dass jetzt alle Beter zurückkehren können.«
Eine von ihnen ist Esther Roit. Die 60-jährige Berlinerin war während der Umbauarbeiten fast jeden Schabbat in der Fasanenstraße. Mit Vorfreude blickt sie schon jetzt dem Moment entgegen, wenn die Torarollen eingebracht werden und das Ewige Licht gezündet wird. »Das wird ein ganz besonderer Moment«, sagt Esther Roit. »Es fühlt sich schon jetzt so an, als würde ich nach Hause zurückkehren.«