Pessach

In die Zukunft gerichtet

Virtuell sollten die Älteren an Pessach dabei sein, urteilten die Rabbiner – auch wenn sie nicht vom gemeinsamen Sederteller essen können. Foto: Marina Maisel

Mit Pessach steht uns wieder eine der schönsten und wichtigsten Wochen des jüdischen Jahres bevor. In dieser Zeit kommen wir mit unseren Familien und Freunden zum Sederabend zusammen, um gemeinsam das Ende der Versklavung und den Beginn der Freiheit unseres Volkes zu feiern. Wie in jedem Jahr erinnern wir an den Auszug aus Ägypten.

»Wie in jedem Jahr«: Schon diese Worte zeigen, wie zentral die Erinnerung an das Ende der Unterdrückung unter Pharao für unsere gemeinsame Geschichte ist. Von dieser jüdischen Geschichte kann man erst mit dem Auszug aus Ägypten überhaupt sprechen: Nichts von dem, was in den kommenden Jahrtausenden folgte und das Judentum bis heute geprägt hat, wäre sonst möglich gewesen. Unsere jüdische Tradition können wir ohne die Geschichte von Pessach nicht denken.

Seder Das Wissen um diese Geschichte ist daher elementar. Nicht umsonst stehen die »vier Fragen« des jüngsten Kindes im Mittelpunkt des Sederabends: Jeder, der Teil unserer gemeinsamen Tradition ist, muss lernen, zu fragen und zu verstehen. Die Geschichte zu kennen, ist nicht optional, und ganz im Geiste des Ausspruchs von Elie Wiesel sel. A. gilt: »To be a Jew is to remember.«

Doch auch, wenn Pessach gleichbedeutend ist mit dem Wissen um die Geschichte, dürfen wir nicht den Fehler machen, uns in dieser besonderen Woche nur als Historiker zu verstehen.

Die Vergangenheit ist keine entfernte, abstrakte Größe, die wir wie durch ein Fernrohr betrachten und wieder aus dem Blick verlieren können: Sie ist in Form unserer jüdischen Tradition, unserer jüdischen Existenz, bis heute lebendig. Und so ist Pessach ein Fest, das verdeutlicht, warum die Vergangenheit noch immer Gegenwart ist, und das uns somit auch ermahnt, den Blick fest in die Zukunft zu richten.

Die jüdische Tradition, die mit dem Auszug aus Ägypten ihren Anfang nahm, ist größer als wir.

Denn die jüdische Tradition, die mit dem Auszug aus Ägypten ihren Anfang nahm, ist größer als wir. Die Idee der Freiheit, auf der sie fußt und die wir zu Pessach feiern, besteht weiter; sie hat uns in der Vergangenheit Kraft und Trost gespendet und wird dies auch weiterhin tun. »Mi-Awdut Le-Cherut«, von der Knechtschaft zur Freiheit: Diese Worte aus der Pessach-Haggada haben den Mitgliedern unseres Volkes selbst in den dunkelsten Stunden unserer Geschichte noch einen Hoffnungsschimmer bewahrt.

Heute leben wir glücklicherweise nicht in so düsteren, aber sehr wohl in bewegten Zeiten. Wir erleben seit Jahren, dass die politischen und gesellschaftlichen He
rausforderungen für uns als jüdische Gemeinschaft immer größer werden. Das belegen nicht zuletzt die Zahlen, die etwa für Bayern im vergangenen Jahr einen sprunghaften Anstieg antisemitischer Straftaten verzeichneten.

Doch mehr noch als physische Übergriffe, die bei uns G’tt sei Dank weiterhin seltene Ausnahmen sind, ist es ein gesellschaftliches Klima von Unsicherheit, von zunehmendem Hass und von Attacken auch auf den Staat Israel, das dafür sorgt, dass immer mehr jüdische Menschen in unserem Land sich nicht mehr sicher und – noch schlimmer – nicht mehr willkommen fühlen.

israel Jüdisches Leben muss sich heute wieder vielfach rechtfertigen – für die internen Abläufe in unseren Gemeinden bis zur Lage in Israel, über dessen jüngste Wahl vielfach sehr tendenziös berichtet wurde. Die Unsicherheit ist umso größer vor dem Hintergrund der unverändert hohen Umfragewerte für die sogenannte »Alternative für Deutschland«, welche die gewachsene Gedenkkultur unseres Landes ablehnt und dem Rechtsextremismus den Weg zurück in die Parlamente geebnet hat – und die dennoch die Stirn besitzt, sich jüdischen Menschen als Wahloption anzuempfehlen.

Freiheit ist niemals vollständig ohne Sicherheit. Sicherheit für jüdisches Leben setzt jedoch voraus, dass wir die Mehrheitsgesellschaft an ihre Pflicht erinnern, im Kampf gegen Antisemitismus nicht nachzulassen und verbale, soziale und physische Übergriffe auf jüdische Menschen konsequent zu bestrafen. Die Ernennung von Antisemitismusbeauftragten im vergangenen Jahr war ein guter erster Schritt.

einheit Doch auch wir selbst können, ja müssen in dieser Lage etwas tun. Wir müssen uns dabei sowohl nach innen als auch nach außen richten: Nach innen gilt es, die Einheit unserer Gemeinde und der jüdischen Gemeinschaft zu wahren und sich nicht von Streitereien und Missverständnissen auseinanderdividieren zu lassen. Das ist heute in Anbetracht der Bedrohung von außen besonders wichtig.

Zugleich sollten wir die Möglichkeit nutzen, uns auch gesamtgesellschaftlich Gehör zu verschaffen. Das kann jeder Einzelne tun – nicht zuletzt bei den kommenden Europawahlen, bei denen es darauf ankommen wird, die Zahl der Demokratiefeinde im neuen Europäischen Parlament so gering wie möglich zu halten.

Die Freiheit, die wir als jüdisches Volk an Pessach gewonnen haben und immer wieder von Neuem feiern, ist auch ein Auftrag, nicht stehen zu bleiben. Die Freiheit der jüdischen Gemeinschaft und die Freiheit des Landes, in dem wir leben, hängen direkt voneinander ab. »Mi-Awdut Le-Cherut« geht es für uns alle auch in diesem Jahr nur gemeinsam.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen Pessach sameach we-kascher!

Frankfurt/Main

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