Gedenken

In Demut und großem Respekt

Anlässlich des 77. Jahrestages hat die Jüdische Gemeinde zu Berlin am Montagabend im Gemeindehaus in der Fasanenstraße an die Novemberpogrome erinnert. Außer den Fraktionsvorsitzenden des Berliner Abgeordnetenhauses nahmen auch Petra Pau, Vizepräsidentin des Bundestages, und Volker Beck, innenpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion der Grünen und Leo-Baeck-Preisträger, an der Veranstaltung teil.

Neben Repräsentanten von Kirche, Bundeswehr und Gesellschaft sowie dem Geschäftsführer des Zentralrats der Juden, Daniel Botmann, waren viele Schoa-Überlebende ins Gemeindehaus gekommen.

Eröffnung »Ich persönlich freue mich, dass wir heute hier im Gemeindehaus eine noch recht große Zahl Überlebender begrüßen können«, eröffnete Gemeindevorsitzender Gideon Joffe die Gedenkveranstaltung. Er hoffe sehr, dass die Zeitzeugen noch viele Jahre von ihren Erlebnissen erzählen können, denn die Frage, wie sich Erinnern und Gedenken ohne sie gestalten könne, sei noch immer unbeantwortet.

Zudem freute sich Joffe über die zahlreichen Einladungen zu Gedenkveranstaltungen, die er von Medien, Vereinen und Schulen erhalten hatte. »Berlin, Deutschland gedenkt« schloss er daraus. Die Tatsache, dass sich dieses Gedenken durch die Gesellschaft ziehe, zeige, dass die Menschen ein Bedürfnis haben zu verstehen.

Joffe wies dennoch auf den modernen Antisemitismus hin. Dieser äußere sich nicht etwa durch die Leugnung oder Gutheißung der damaligen Zeit, sondern richte sich offen gegen mehr als die Hälfte aller Juden weltweit: die Bewohner Israels. Hierbei zog Joffe Parallelen zwischen den damaligen Geschehnissen und heutigen Ereignissen. So beschrieb er etwa die Reaktion der jüdischen Gemeinden auf die geplante EU-Kennzeichnungspflicht israelischer Produkte und ihren Boykott: »Wenn jüdische Produkte gekennzeichnet werden sollen, schrillen bei uns die Alarmglocken.«

Der Gemeindevorsitzende bezog auch Stellung zur Flüchtlingsdebatte. »Wir begrüßen sehr, dass Menschen in Not geholfen wird.« Er warnte jedoch vor deren möglichem Antisemitismus und bat das Land Berlin und die Bundesregierung, »die Bedürfnisse der jüdischen Gemeinden nicht zu vernachlässigen«. Er schloss seine Gedenkrede mit Worten der Anerkennung: »Wir verneigen uns in Demut und großem Respekt vor den Opfern, den Überlebenden und den Gerechten unter den Völkern.«

dilek Kolat
Die Berliner Bürgermeisterin und Senatorin für Arbeit, Integration und Frauen, Dilek Kolat, rief dazu auf, nicht zu vergessen, dass es auch Menschen gab, die geholfen haben und nicht wegsahen. »Ihre Beispiele sind für uns heute Maßstab für menschliches Handeln, persönlichen Mut und Zivilcourage.« Sie freue sich zudem, dass sich 70 Jahre nach der Schoa jüdische Kultur und jüdisches Leben in Berlin wieder sichtbar und selbstbewusst präsentieren. »Wir wissen, dass das nicht selbstverständlich ist.«

Auch das Thema der Flüchtlinge griff Kolat auf: »Ich glaube, insbesondere aufgrund unserer eigenen Historie ist es unsere Verantwortung, diesen Menschen Schutz, Sicherheit und auch Geborgenheit zu bieten.« Dennoch sei es wichtig, ihnen klar und deutlich zu vermitteln »dass unsere Gesellschaft auf Werten wie Respekt vor unterschiedlichen Glaubens- und Lebensweisen beruht«. Antisemitismus dürfe und werde keinen Raum in Berlin haben.

Das musikalische Rahmenprogramm gestalteten der Geiger David Malaev und der Kinderchor der Heinz-Galinski-Schule. Nach der Kranzniederlegung sang Kantor Isaac Scheffer das Gedenkgebet El Male Rachamim, Rabbiner Sievers sprach das Totengebet Kaddisch.

Namenslesung Bereits seit Montagmorgen verlasen Freiwillige vor dem Gemeindehaus in der Fasanenstraße die Namen aller 55.696 ermordeten Berliner Juden. Alle Berliner waren dazu aufgerufen, sich daran zu beteiligen. Die jährliche Namenslesung gibt es seit 1996.

In der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 gingen die Nazis zur offenen Gewalt gegen die deutschen Juden über. Etwa 1400 Synagogen wurden deutschlandweit angezündet, Tausende jüdischer Geschäfte zerstört und Wohnungen verwüstet. Etwa 30.000 Juden wurden in Konzentrationslager deportiert, mehr als 400 bei den Pogromen ermordet.

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