13. Februar

Im Schutz vereint

Halb sieben am Abend im Innenhof des jüdischen Gemeindezentrums am Hasenberg. Eine kleine Handglocke mit dem Namen »Schwerter zu Pflugscharen« läutet den Gedenkweg ein, unmittelbar nachdem sich die Menschenkette aufgelöst hat. Ihr hoher Klang lenkt die Aufmerksamkeit auf ein paar Männer und Frauen in dicken Wintermänteln, die zuvor Hand in Hand gemeinsam mit Mitgliedern und Freunden der Gemeinde vor der neuen Synagoge gestanden haben.

Die Initiatoren des Gedenkwegs verlesen einen Zeitzeugenbericht, unmittelbar vor ein paar alten Sandsteinen, die sich von der Außenmauer abheben. Es sind Überreste der zerstörten Semper-Synagoge, die in die Umgebungsmauer der neuen Synagoge eingebaut wurden. In den Fugen stecken weiße Rosen, Zeichen der Trauer über die Toten des Bombenangriffs auf Dresden vor 74 Jahren. Sie sollen aber auch an die Toten in zerstörten Städten wie Guernica, Coventry, Rotterdam, Leningrad, Warschau oder Breslau erinnern. Unter den alten Steinen sind die hebräischen Initialen ins Mauerwerk gefräst. »Ihre Seelen mögen eingebunden sein in das Bündel des Lebens« lautet der Segensspruch für die Opfer der Schoa.

Der Gedenkmarsch führt
vom Rathausplatz
an der Synagoge
vorbei zur Frauenkirche.

Ganz bewusst beginnt der Weg zum Gedenken an die Opfer des Bombardements am 13. Februar 1945 jedes Jahr an diesem Ort, bevor die Gruppe weiterzieht. Zu einem Trümmerstück der wiederaufgebauten Frauenkirche, zur Inschrift auf dem Altmarktpflaster, wo mehr als 1000 Menschen Opfer des Brandes wurden, zur Skulptur der Trümmerfrau vor dem Rathaus, zum »Stein des Anstoßes« vor der Kreuzkirche. Das Friedensglöckchen und die beiden Granitblöcke vereint der gleiche Spruch des Propheten Micha, »Schwerter zu Pflugscharen«.

Versöhnung An der ersten Station erklärt der pensionierte Pfarrer Harald Bretschneider, was es mit der Glocke auf sich hat. »Der Glockenmantel wurde aus russischen Granathülsen gegossen, und der Klöppel stammt aus amerikanischen Geschossen. Ehemals diente das Material zur Vernichtung der Feinde, jetzt ruft es zur Versöhnung.« Bretschneider hatte 1982/83 als damaliger Landesjugendpfarrer das Symbol der christlichen Friedensbewegung, »Schwerter zu Pflugscharen«, drucken lassen.

Für den Startrompeter Ludwig Güttler, Ehrenvorsitzender der Fördergesellschaft Dresdner Frauenkirche, kann der Gedenkweg nur an diesem Ort beginnen, wo am 9./10. November 1938 die Flammen wüteten. »Die Synagoge wurde nicht zerstört durch alliierte Bomber. Die Zerstörung begann von uns aus, um das so hart zu sagen. Und es ist nicht immer einfach, die Wahrheit zu sagen. Viele wollen sie nicht hören. Umso wichtiger ist es, diese Wahrheit immer an diesem Dresdner Schicksalstag zu bekennen und zu benennen.«

»Die alte Synagoge stand am Anfang und die Zerstörung Dresdens am Ende«, zitiert Nora Goldenbogen einen Satz, der an Gedenktagen wie diesem immer wieder zu hören ist. Geschichte sei ein Prozess von Ursache und Wirkung, wiederholt die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Dresden. Sie erinnert daran, dass im Feuersturm vom 13. zum 14. Februar 1945 auch Juden, Zwangsarbeiter und politische Häftlinge ums Leben kamen.

Hier, am früheren Zeughausplatz, dem heutigen Rathenauplatz, standen zwei sogenannte Judenhäuser. In einem wohnte Viktor Klemperer mit seiner Frau Eva. In seinem Tagebuch beschreibt er, wie sie sich in die Kasematten unter der Brühlschen Terrasse retten konnten, obwohl die Luftschutzkeller für Juden verboten waren. Die Bewohner des »Judenhauses« in der Sporergasse am Neumarkt kamen fast alle um.

Deportation Auch für die Familie Aris, die junge Henny Brenner und andere Dresdner Juden waren die alliierten Bombenangriffe Fluch und Segen zugleich. Denn sie konnten untertauchen und so der Deportation entgehen. Der Transport für die letzten in – von den Nazis einige Zeit gewährten – »privilegierten Mischehen« lebenden Juden der Stadt war für den 16. Februar geplant. Sie alle hatten bereits die Aufforderung bekommen, sich am alten Leipziger Bahnhof einzufinden.

Wenn Überlebende der Schoa wie der vor zwei Jahren verstorbene Heinz-Joachim Aris diese Geschichte von ihrer glücklichen Rettung erzählten, wurden sie nicht selten beschimpft – gerade von jenen, die über den 13. Februar 1945 als »Bomben-Holocaust« sprachen.

Sie nahmen jene Nazipropaganda auf, die unmittelbar nach dem Angriff von »Hunderttausenden unschuldigen Bürgern und Flüchtlingen« sprach, die in einer unschuldigen Kulturstadt durch »angloamerikanischen Terror« ums Leben kamen.

Bevor Dresdner Bürger 2010 erstmals eine schützende Menschenkette gegen den Missbrauch des Gedenkens bildeten, zogen Neonazis mit behördlicher Erlaubnis jedes Jahr durch die Innenstadt. Im Gedächtnis bleibt, wie sie an einem Freitagabend während des Schabbatgottesdienstes mit lauter Wagnermusik an der Synagoge vorbeizogen. Ihr sogenannter Trauermarsch – für die jüdische Gemeinde eine unerträgliche Provokation.

Im darauffolgenden Jahr bildeten Studenten und viele andere junge Leute eine Sitzblockade am Terrassenufer. Gleichzeitig forderte die Gemeinde von der Versammlungsbehörde, diese Aufmärsche zu verbieten. Vergeblich. Erst als Oberbürgermeisterin Helma Orosz vor neun Jahren erstmals dazu aufrief, mit einer Menschenkette ein Zeichen gegen die Vereinnahmung des Gedenktages durch Rechtsextremisten zu setzen, verlagerten sich die Neonaziaufmärsche auf andere Tage.

Täterspuren Eine Historikerkommission forschte in Archiven, ermittelte exaktere Daten zu den Toten der Bombennacht und kam auf etwa 25.000. Linke Aktivisten begaben sich in der Dresdner Innenstadt auf Täterspuren, zum Beispiel zur Villa von Gauleiter Mutschmann oder zum Deutschen Hygiene-Museum als früheres Rassenhygienisches Institut.

»Die Zerstörung
der Synagoge
begann von uns aus.« Ludwig Güttler

Mitglieder der Fördergesellschaft Frauenkirche wie Ludwig Güttler, Harald Bretschneider oder Gerhard Glaser luden zum Gedenkweg ein. Abgeschafft wurde das zentrale Gedenken der Stadt auf dem Heidefriedhof. Denn es war für Mitglieder der jüdischen Gemeinde unzumutbar, zusammen mit NPD-Aktiven und anderen Rechtsextremen Kränze und Blumen für die Opfer des 13. Februar niederzulegen.

Das zentrale Gedenken ist die Menschenkette geworden, die sich vom Rathaus über den Altmarkt, die Augustusbrücke, das Königsufer in der Neustadt, die Carolabrücke bis zur Synagoge und zur Frauenkirche zieht. Und über allem schwingt am Ende die Friedensverheißung der Propheten Jesaja und Micha: »Schwerter zu Pflugscharen und Spieße zu Winzermessern«. Eine Verheißung, die alle Bürger in der Menschenkette vereint.

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