Religionsgemeinschaften, gleich, ob jüdisch, christlich oder muslimisch, müssen gemeinsam mit der Politik »den Menschen wieder mehr Ordnung geben«. Mit dieser Forderung begrüßte am vierten Tag von Chanukka Barbara Traub die Teilnehmer des Lichtzündens vor dem Neuen Schloss in Stuttgart.
»Fast unwillkürlich fragt man sich, in welche Richtung sich unsere Welt entwickelt«, legte die Vorstandssprecherin der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württemberg (IRGW) am Dienstagabend ihre Gedanken bei einer Ansprache anlässlich des jüdischen Lichterfestes dar. Das Ziel einer besseren Welt – im Judentum unter dem Gebot des Tikkun Olam gefasst – scheine derzeit vielen Menschen aus dem Blick geraten zu sein.
stimmungen Normalerweise sei die Zeit von Chanukka und Weihnachten eine ruhige Zeit, so Traub. Doch die Ereignisse von Berlin, Ansbach, Würzburg, Nizza und Paris hätten alle zutiefst getroffen. »Die Menschen sind verunsichert, reagieren in ihren politischen Entscheidungen statt auf Fakten auf Stimmungen, Emotionen, Gefühle«, stellte Barbara Traub fest. Wie könne es sonst sein, dass in Dresden mit seinen 525.000 Einwohnern besonders heftig gegen die sogenannte »Islamisierung des Abendlandes« demonstriert werde.
»In Dresden leben gerade einmal 750 Muslime, in Stuttgart sind von insgesamt 600.000 Bewohnern 65.000 Menschen muslimischen Glaubens«, führte die Vorstandsvorsitzende der IRGW ein Zahlenbeispiel vor. Es veranschauliche das Wort des Jahres »postfaktisch« besonders deutlich.
Erstmals wurde 2005 in der baden-württembergischen Landeshauptstadt – später auch in Zweigstellen der IRGW in Ulm, Heilbronn und Esslingen – eine Chanukkia im öffentlichen Raum entzündet. Wie sie sich optisch fast ohne Brüche in die historische Architektur am Schlossplatz einfügt, können alle sehen, die Abend für Abend an diesem Ort vorbeiflanieren.
religionsfreiheit »Auch wir verstehen das Chanukkalicht hier mitten auf dem Schlossplatz im Herzen der Stadt als ein Zeichen von Religionsfreiheit und Toleranz, ja, als ein Zeichen des friedlichen Zusammenlebens«, sagte Martin Schairer am gleichen Abend. Die errungenen Werte der freiheitlichen, demokratischen und rechtsstaatlichen Gesellschaft und die Offenheit der Stadt Stuttgart würden »unverdrossen verteidigt«, so der Stuttgarter Bürgermeister Referat Recht, Sicherheit und Ordnung.
Im Jahr 2005 war der Leuchter »aus Sorge vor Vandalismus« nur für einen Tag aufgebaut worden, erinnerte er. »Heute erleben wir den für die ganzen acht Tage der Chanukka fest verankerten Leuchter als einen Teil unserer Stadt, an dessen Licht sich inzwischen sehr viele Bürger wärmen wollen«, so Bürgermeister Martin Schairer.