»Für uns«, sagt Steve Landau, Geschäftsführer der Jüdischen Gemeinde Wiesbaden, »geht ein lang gehegter Wunsch in Erfüllung.« 75 Jahre, nachdem die Nationalsozialisten das »Freie Jüdische Lehrhaus« in Frankfurt schließen ließen, will die Jüdische Gemeinde in der hessischen Landeshauptstadt an die pädagogischen Ideale und Ziele von Franz Rosenzweig und später Martin Buber anknüpfen.
Am Sonntag feierte sie in ihrem Zentrum in der Wiesbadener Innenstadt die Neugründung eines Jüdischen Lehrhauses – »als Antwort auf das gewachsene Interesse der Öffentlichkeit am Jüdischen«, so Jacob Gutmark, Vorsitzender und Kulturdezernent der rund 800 Mitglieder starken Gemeinde. Das Bildungsangebot richtet sich an alle, die Interesse an jüdischer Kultur und Geschichte haben, sagt er. Jüdisches Wissen soll einer nichtjüdischen Umgebung vermittelt werden.
Förderer Unterstützt wird das neue Lehrhaus von der Stadt Wiesbaden, der Volkshochschule (vhs) sowie der örtlichen evangelischen und katholischen Erwachsenenbildung. Vertreter dieser Einrichtungen, aber auch Stadtverordnete und Landtagsabgeordnete waren am Sonntag zur Eröffnungsfeier erschienen.
Rose-Lore Scholz, Wiesbadens Stadträtin für Schule, Kultur und Integration, sieht in dem neuen Angebot ein »wichtiges Modul« für die Weiterbildung und die Möglichkeit, »authentisches jüdisches Leben wahrzunehmen«. Die Stadt unterstütze die Gemeinde daher gerne ideell und finanziell.
Langjähriger Förderer und Freund ist auch der vhs-Direktor Hartmut Boger. Er lobt die herausragende Rolle von Juden für die demokratische Erwachsenenbildung in Deutschland. Zusammen mit der Gemeinde hat er an der Idee des neuen Angebotes gefeilt. Auch daran, dass das Lehrhaus eben ein eigenständiges Angebot ist und »keine Abteilung der vhs«, betont er und überreicht als Eröffnungsgeschenk Rosenzweigs Buch Bildung und kein Ende für die Gemeindebibliothek.
Lernen Die historischen Vorbilder Franz Rosenzweig und später Martin Buber verfolgten Anfang des 20. Jahrhundert mit ihrem Jüdischen Lehrhaus die Idee des frei zugänglichen und lebenslangen Lernens, »bei dem die Tradition und das Moderne aufeinandertreffen und einander befruchten sollten«, so Gutmark. Jüdisches Wissen in eine nichtjüdische Umgebung zu tragen, bezeichnete der Religionsphilosoph Buber als eine »Ich-Du-Beziehung« und dauerhafte Partnerschaft auf Augenhöhe, die weder bekehren noch die Aufgabe eigener Identität bewirken sollte.
Sie bedeutete aber auch Widerspruch, berichtet Rabbiner Nussbaum. »Das Lehrhaus war damals ein Institut gegen die Herrschaft der Rabbiner über das Judentum«, erzählt er. Buber und Rosenzweig wollten, dass jeder Zugang zu den religiösen Schriften und Quellen hatte und sie selbst auslegen konnte. Alle Teilnehmer sollten gleichberechtigt sein. Für Rabbiner Avremi kein Problem. Das neue Lehrhaus in Wiesbaden stehe für »lernen, nicht belehren«. Schließlich, findet er, »hat auch ein Lehrer noch zu lernen.«