Kinder, die ohne ihre Eltern aufwachsen, mit Gleichaltrigen zusammenleben müssen, die nicht ihre Geschwister sind. Wenn man solche Kinder und Jugendlichen fotografiert, erwartet man, in den Gesichtern ein wenig Traurigkeit oder zumindest einen Hauch von Melancholie zu finden.
Stattdessen stieß Stephan Pramme, der in Israel eine Woche lang in zwei SOS-Kinderdörfern lebte und das Leben der Kinder porträtierte, auf Lebenslust pur. »Sowohl in Megadim als auch in Neradim herrschte eine von Grund auf positive Stimmung«, erzählt Pramme. »Die Kinder waren vom ersten Moment an neugierig und aufgeschlossen.«
Unterstützung Pramme fotografierte im Auftrag der SOS-Kinderdörfer, weil deren Existenz in Israel, wie die Kuratorin der gestern im Jüdischen Museum Frankfurt eröffneten Ausstellung, Kirstin zu Hohenlohe, bilanziert, »so wenig bekannt ist, dass sie leider auch nur wenige Unterstützer in Deutschland finden«.
Die Bilder sind auf zweierlei Art entstanden: Zum einen hat Pramme die SOS-Zöglinge abgelichtet. Zum anderen haben die Kinder Einwegkameras erhalten – je Dorf wurden 50 verteilt. Der Arbeitsauftrag nach einer kurzen technischen Einweisung lautete: »Haltet Euren Alltag fest. Fotografiert, was Euch lieb und teuer ist.«
Pramme hat sie dabei unterstützt, aber nicht bevormundet. Die Sprachbarrieren zwischen dem Fotografen und den Kindern haben ein Dolmetscher und ein Kauderwelsch aus Russisch, Englisch und Spanisch überbrückt. »Was sie fotografieren, war den Kindern und Jugendlichen selbst überlassen«, sagt Pramme. Eine Ungebundenheit, die er selbst auch genießen durfte: »Frau zu Hohenlohe hat mir freie Hand gelassen und meiner Arbeit vertraut«, lobt er seine Auftraggeberin.
Unaufdringlich Die Ausstellung im Jüdischen Museum Frankfurt zeigt nun 84 Fotos, die die Kinder selbst gemacht haben, sowie mehr als ein halbes Dutzend Porträts, die Pramme professionell, aber »sehr zurückgenommen« inszeniert hat. Die Bilder, die in den Kinderdörfern entstanden sind, spiegeln den Alltag der Sechs- bis 16-Jährigen wider: Momentaufnahmen beim Turnen, Spielen, Raufen und Essen.
Grazile Mädchen im Ballettanzug und wilde Jungs mit erhobenem Mittelfinger – manchmal ist das Gewöhnliche eben das Ungewöhnliche. »Hier zeigen sich Momente geglückter Kindheit, obwohl die Ausgangsbasis dieser jungen Künstler alles andere als gut war«, resümierte Wilfried Vyslozil während der Vernissage.
Auch Regisseur Dani Levy, der das Vorwort zum Ausstellungskatalog geschrieben hat, war tief berührt von den Fotos der Kinder: »Das Leben, ihr Leben, springt mich an und berührt mich zutiefst.«
Empathie Dass Pramme, der auch für die Jüdische Allgemeine arbeitet, dieser Einsatz zu Herzen gegangen ist, merkt man im Gespräch schnell. »Es war sehr schön zu sehen, wie sehr die Kinder ihre Pflegemutter lieben und mit welchem Enthusiasmus die Volontäre im Kinderdorf an ihre Arbeit gehen.« Die Infrastruktur der Kinderdörfer sei hervorragend und jede der Kinderdorf-Mütter bringe ein großes Herz mit.
Nur so sei es zu erklären, dass Jungen, wie der 16-Jährige aus der ehemaligen Sowjetunion, nicht verzweifeln: Er kam mit seiner Mutter und zwei jüngeren Geschwistern nach Israel. Die Mutter kehrte irgendwann nach Russland zurück – die Kinder blieben in Israel. Während die beiden Jüngeren bald zu Adoptiveltern kamen, wollte den neunjährigen Bruder niemand. Er fand Unterschlupf im SOS-Kinderdorf. Der »Lebensmut, den solche Kinder dort wieder bekommen, ist beeindruckend«, sagt zu Hohenlohe.
Geöffnet: Di. bis So. 10–17 Uhr, Mi. bis 20 Uhr
www.soskinderdoerfer.de/Informationen/Aktuelles/Kalender/Pages/Fotoausstellung_Kindheit_in_Israel.aspx
SOS-Kinderdörfer in Israel
In Israel gibt es derzeit zwei SOS-Kinderdörfer, eine SOS-Jugendeinrichtung sowie zwei Sozialzentren. Insgesamt werden 342 Kinder und deren Familien dort betreut. Das erste Kinderdorf, Neradim, öffnete im Jahr 1981 in Arad im Süden Israels, in der Nähe des Toten Meeres. 1988 folgte die Errichtung einer SOS-Jugendeinrichtung, um den Jugendlichen, die für das Kinderdorf zu alt sind, die Möglichkeit zu bieten, sich auf ein Leben in Selbstständigkeit vorzubereiten. Das zweite Kinderdorf, Megadim, wurde 1997 in Migdal Haemek, in der Nähe von Nazareth im Norden Israels, eröffnet. Eine SOS-Kinderdorf-Mutter betreut sechs bis acht Kinder. Sie ist rund um die Uhr ansprechbar. Unterstützt wird sie bei Bedarf von einem Sozialarbeiter. Um die teilweise traumatischen Erleb-
nisse der Vergangenheit bewältigen zu können, werden die Kinder und Jugendlichen auch von Psychologen betreut.
www.sos-kinderdoerfer.de